Fahrradhelme - Voodoo im Straßenverkehr



Fahrradhelme schützen, das weiß jeder. Oder? Nein, das weiß nicht jeder, das redet nur fast jeder nach, der es einmal gehört hat. Klingt doch auch logisch und scheint plausibel: Eine zusätzliche Schicht zwischen Schädel und Straße mildert einen Aufprall ab und verringert Verletzungsrisiken. Griffiger und auf die Spitze getrieben wird daraus dann schnell: "Helme retten Leben" – das leuchtet ohne Kenntnis irgendwelcher Fakten ein und läßt sich leicht merken.

Nun ist das so eine Sache mit den Dingen, die jeder zu wissen glaubt. Oft genug handelt es sich dabei um Mythen, die wahr klingen, logisch erscheinen, sich aber bei genauem Hinsehen schnell als reiner Blödsinn entpuppen.

Wie sieht das bei den Fahrradhelmen aus? Da müßte es doch zahlreiche Untersuchungen geben, einen Haufen Zahlenmaterial, der den Nutzen von Fahrradhelmen klar und unwiderlegbar beweist. Leider ist das ein Irrtum. Es gibt exakt 0,0, also keine wissenschaftlich valide Untersuchung, die zu diesem Ergebnis kommt. Es wird zwar gerne die sogenannte "Seattle-Studie" von Thompson, Thompson und Rivara aus dem Jahr 1989 zitiert, in deren Verlauf die Autoren vor etwa 20 Jahren herausgefunden haben wollen, daß durch das Tragen eines Fahrradhelms 85% der Kopfverletzungen bei Fahrradunfällen vermieden werden könnten. Nur leider kann man aus dem Zahlenmaterial ebensogut schließen, daß das Tragen eines Fahrradhelms das Risiko von Verletzungen außerhalb des Kopfes um 72% reduziert. Man kann die Seattle-Studie also getrost abhaken und ganz schnell wieder vergessen. Doch halt! Eins sollte man nicht vergessen, nämlich den Wert 85%. Der taucht wie ein nicht ausrottbarer Wiedergänger in auffällig vielen Veröffentlichungen pro Fahrradhelm auf, meist ohne die Quelle oder die Methodik seiner Ermittlung zu nennen - wäre ja auch zu peinlich.

Übrigens auch in einem noch recht neuen deutschen Beitrag ("Wirksamkeit von Fahrradhelmen bei Verkehrsunfällen von Radfahrern auf Kopfverletzungshäufigkeit und Verletzungsschwere") von Otte, Haasper, Wiese in "Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik" (Ausgabe Oktober 2008). Dort werden die Thompsons im Text mal eben in "Thomsen" umbenannt, der Co-Autor mutiert im Literaturverzeichnis von Frederick P. Rivara zu "R. P. Frederick" - das läßt schon Böses ahnen. Merkwürdig auch, daß beim Vergleich zwischen Helmträgern und Unbehelmten behauptet wird, die untersuchten Unfälle hätten sich alle unter ansonsten vergleichbaren Umständen ereignet, andererseits dann konstatiert wird, mehr als die Hälfte der Helmträger seien auf dem Radweg unterwegs gewesen, von den Nichthelmträgern dagegen nur ein reichliches Drittel. Und (hochinteressant!): Bei den von Otte et al. untersuchten verunglückten Radfahrern trugen im Mittel 7,6% einen Helm, wogegen die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für den gleichen Zeitraum eine allgemeine Helmtragequote von 2-4% angibt. Das würde bedeuten, daß unter Unfallbeteiligten doppelt so viele Helmträger anzutreffen sind wie unter nicht in Unfälle verwickelten Radfahrern. Das ist alles so schwurbelig, daß es uns auch nicht weiterbringt.

Es hilft also nichts, wir müssen die Frage nach dem Nutzen von Fahrradhelmen aus einem anderen Blickwinkel betrachten und ein wenig den Verstand einsetzen, um uns dem Kern der Sache zu nähern.


Die Standard-Folklore


Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf die wunderbare Beweiskraft des Anekdotischen. Kennt jemand einen Menschen, der einmal behelmt mit dem Fahrrad gestürzt ist, unverletzt blieb, dessen Helm aber einen Totalschaden davontrug? Der also zerbröselte oder in mehrere Stücke zerbrach. Dann ist bei der Schilderung des Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit der Satz gefallen: "Der Helm hat mir das Leben gerettet!"

Um es vorwegzunehmen: Hat er nicht. Ein Helm, der zerbricht oder sich sonstwie in Einzelteile zerlegt, hat versagt. Die Theorie hinter den Aussagen über die Schutzwirkung besagt, daß das im Helm enthaltene Formteil aus Polystyrolschaum sich durch den Aufprall verformt, also eindrückt, und dabei Energie aufnimmt. Nun sei dahingestellt, wieviel Energie wenige Zentimeter Styropor durch Verformung aufnehmen können, sicher ist, daß ein zerbrechender Helm höchstens für einen Sekundenbruchteil irgendetwas aufnimmt und ansonsten für die Katz war.

Trotzdem wird der Schaden am Helm als Beweis dafür angesehen, daß er den Träger vor dem Allerschlimmsten bewahrt hat. "Geht's noch?" möchte man da mit den Exponenten des Unterschichtfernsehens ausrufen. Hätten die gleichen Leute, wenn ihr Sicherheitsgurt im Auto bei einem leichten Auffahrunfall gerissen wären, daraus den Schluß gezogen, der Gurt habe ihnen das Leben gerettet? Eher nicht, oder? Bei einem Sicherheitsgurt weiß man, daß der zu halten hat. Der Fahrradhelm wird dagegen als engelsgleicher Lebensretter angesehen, wenn er sich zerlegt hat.

Einen Hinweis auf den Wahrheitsgehalt solcher Rettungslegenden geben übrigens auch die Helmhersteller selbst. Nicht wenige von ihnen empfehlen nämlich, einen Fahrradhelm auszutauschen, wenn er einmal aus der Hand gefallen und dann auf einen harten Boden geprallt ist. Jedes bessere Handy übersteht heute so einen Sturz unbeschadet, und ich soll als Kunde einem Gegenstand mein Leben anvertrauen, der das nicht kann? Nein, muß ich natürlich nicht und werde ich auch nicht.


Ein Hoch auf die Norm


Aber es gibt doch Prüfnormen, nach denen die Tauglichkeit von Helmen getestet werden kann. Der ADAC benutzt sie, die StiWa verwendet sie für ihre Warentests, und natürlich bestehen die meisten Helme diese Versuche.

Nun ja, mancher Leser muß jetzt sehr tapfer sein, aber eine Norm wird nicht in Steintafeln gehauen und auf dem Berg Sinai übergeben, sondern sie wird von Normausschüssen verabschiedet, die nicht selten von Experten bevölkert sind, die wiederum von den einschlägigen Herstellern dorthin delegiert wurden.

Diese Herrschaften haben für Europa die Norm EN 1078 ausgearbeitet (Nachfolgerin der DIN 33 954). Kernpunkt der Prüfungen ist ein Versuch, bei dem ein (je nach Größe ca. 3 bis 6 kg schwerer) Prüfkopf aus ca. 1,5 m Höhe auf ein flaches Hindernis und aus etwa 1 m Höhe auf ein dachförmiges Stahl-Hindernis fällt. Dabei wird gemessen, ob die Beschleunigung des Prüfkopfs beim Aufprall unter 300 g bleibt (mit g ist nicht Gramm gemeint, 1 g entspricht der einfachen Erdebeschleunigung). That's it.

Ja, ist doch prima, oder? Ein normgerechter Fahrradhelm kann, sagen wir mal, einen 5 kg schweren Kopf sanfter und damit weniger bruchgefährdet auf ein Hindernis prallen lassen. Damit tut er etwas Gutes.

Schade nur, daß so selten einzelne behelmte Köpfe durch den Straßenverkehr fliegen und auf Bordsteinkanten oder Pflastersteine prallen. Das heißt, natürlich ist es gut, daß das selten vorkommt, denn ausgesprochen wünschenswert ist es, wenn der Körper des Fahrers noch dranhängt. Nur ist es mit der Schutzwirkung dann nicht mehr soweit her, wenn nicht nur 5 kg aufprallen, sondern je nach Fahrerstatur locker mal das 10- bis 20fache.

Nehmen wir einen Mittelwert. Schlaue Köpfe haben ausgerechnet (das ist im Web per Suchmaschine leicht zu finden), daß beim Normversuch ein 5-kg-Prüfkopf von 27 km/h auf 0 km/h verzögert wird, ohne daß der Helm durchschlagen wird (also zerbricht). Nehmen wir einen 75 kg schweren Fahrer, also einen ziemlich durchschnittlichen Erwachsenen. Würde man den samt Helm in die Prüfvorrichtung hängen und mit 25 km/h aufprallen lassen, wäre er vor dem Durchschlag auf 24 km/h abgebremst - danach darf dann die (übrigens ziemlich widerstandsfähige) Schädeldecke allein den Job erledigen.

Wirklich beeindruckend: Bei einem Aufprall mit 25 km/h - eine für sehr viele Radfahrer locker erzielbare Geschwindigkeit - reduziert unser famoser Lebensretter das Aufpralltempo also um 4%. Ich dank auch schön! Dafür soll ich dieses aufgeschäumte Nudelsieb aufsetzen? Abgesehen davon, daß ich noch ein paar Kilo mehr auf die Waage bringe, also nicht einmal in den Genuß der vollen 4% Schutz käme.

Noch größer werden meine Zweifel an der Notwendigkeit zum Helmtragen, wenn ich mir ansehe, was die Norm nicht prüfen läßt. Beispielsweise die Durchstichfestigkeit. Geht nicht, gibt's nicht, ham' wer nicht, mögen sich die Normautoren gesagt haben. Was natürlich Quatsch wäre, denn die EN 1077 (das ist die Europanorm für Skihelme) umfaßt diesen Punkt ganz selbstverständlich und wünschenswerterweise.

Wieso dann die Norm für Fahrradhelme nicht? Weil eine strengere Prüfnorm der GAU für Helmhersteller wäre und vermutlich auch etliches von dem Geraffel aus dem Markt blasen würde, was übers Jahr bei den verschiedenen Discountern verhökert wird. So aber dürfen die nach der EN 1078 prüfenden Fahrradzeitschriften oder die Stiftung Warentest immer mal wieder vermelden, daß sogar die Wühltischware – welch ein Jubel! – die Norm erfüllt.


Wenn's schon nicht hilft, dann schadet es wenigstens nicht


Dieser Lieblingsspruch aller Homöopathie-Freunde ist auch auf Fahrradhelme bezogen barer Unsinn. Natürlich schlägt ein Fahrradhelm keine Löcher in den Kopf. Trotzdem gibt es verschiedene Mechanismen, die den Helm zu einer Gefahr für seinen Träger machen können. Das ist nicht zwingend so, macht sich aber durchaus bemerkbar.

Betrachten wir zunächst einmal die Punkte, an denen ein Helm direkt den Hergang eines Unfalls und dessen Folgen verschlimmern kann.

Der erste Punkt ist die Form des Helms, besser gesagt: sein Umfang. Beliebt sind hier, auch und besonders bei den Discounter-Angeboten, die länglichen Formen mit einem aufgesteckten oder angeformten Schirmchen vorne und einem Bürzel hinten. Das ist schlecht. Warum? Erinnern wir uns doch einfach einmal an den Physikunterricht der Unterstufe und dort an die Hebelgesetze. Je länger ein Hebel ist, desto stärker wirkt die Kraft, die an einem Ende daran anliegt, an dessen anderem Ende.

Stellen wir uns also nun einen Unfall vor, bei dem der Fahrradfahrer stürzt und mit dem Hinterkopf seitlich gegen ein Hindernis schlägt. Neben der direkten Einwirkung auf den Schädelknochen kann der Schlag dem Kopf auch einen Rotationsimpuls geben – der Kopf dreht sich ein Stück um die Halswirbelsäule als senkrechte Achse. Haben wir noch die Hebelgesetze im Kopf? Klar! Je größer der Kopfumfang ist, desto länger ist der Abstand zwischen Achse und Peripherie und damit der Hebel, und desto heftiger ist der Rotationsimpuls, den dieselbe Kraft an der Peripherie ausübt. Das kann den Unterschied zwischen einer Zerrung der Halsmuskulatur und einem Genickbruch bedeuten. Wie gesagt: Kann, muß aber nicht.

Nebeneffekt der Kopfumfangsvergrößerung ist übrigens auch die Möglichkeit, daß der Kopf mit Helm überhaupt irgendwo aufprallt, wo er ohne Helm noch kollisionsfrei vorbeigekommen wäre.

Der zweite Punkt ist die grob zerklüftete Struktur von Fahrradhelmen mit ihren großen Belüftungsöffnungen. Der glatte Überzug aus Plastik erhöht zwar die Gleitfähigkeit, aber die großen Öffnungen sind nun einmal vorhanden und lassen sich kaum entschärfen.

Wieder eine Unfallsituation: Der Radfahrer stürzt und schlittert mit dem Kopf übers Pflaster. Ohne Helm hat er gute Aussichten, mit dem Schädel über den Untergrund zu schrammen und dabei mehr oder weniger Haut und Haare zu verlieren. Das sieht häßlich aus, ist aber bald ausgeheilt. Übel sieht es dagegen aus, wenn sich ein Helm mit seinem groben Gefüge am Untergrund verhakt. Hat schon jemand einen Radweg gesehen, der einen beispielhaft glatten Belag aufweist? Sicher nicht sehr häufig – offene Fugen, lose Pflastersteine, Schlaglöcher sind dort in Massen zu besichtigen. Der Helm verbeißt sich nicht in diese Unebenheiten, aber er wird plötzlich von ihnen gehemmt – anders als ein Schädel und anders als ein genau aus diesem Grund vollkommen glatter Motorradhelm.

Einen Fahrradhelm mit der gleichen durchgehend glatten und harten Schale zu versehen, ist nicht möglich. Unter dem Helm würde es dann unerträglich heiß. Warm wird es natürlich auch unter den handelsüblichen Fahrradhelmen schon bei engagierterer Bewegung – der Aufmerksamkeit und der Konzentration auf den Verkehr ist das nicht zuträglich. Für jemanden, der mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit über Radwege torkelt, ist das zugegebenermaßen zweitrangig.

Übrigens, da wir eben Motorradhelme erwähnten: Die Halbschalenform, die übliche Fahrradhelme aufweisen, ist bei Motorradhelmen schon lange nicht mehr zulässig – aus Sicherheitsgründen. Diese Helme bedecken zu wenige Teile des Kopfes. Kein Wunder, daß dort, wo tatsächlich auf Risiko gefahren wird, ganz andere Helme getragen werden. Beim Downhill sind sogar Integralhelme gebräuchlich, bei BMX-Artisten wird häufig eine "Mullet"-Form getragen, wie sie auch bei sportlichen Skatern üblich ist, also ein Helm mit hinten weit herabgezogener Schale, der auch den Hinterkopf bedeckt.

Ach ja, bei der Gelegenheit noch ein Tipp: Sehen Sie doch mal in Benutzungshinweise und -bedingungen von Skate-, Kletter- und Reitanlagen hinein. Dort ist häufig der Ratschlag anzutreffen, keinesfalls einen Fahrradhelm zu benutzen, da dessen Schutzwirkung unzureichend sei.


Ein wenig Psychologie


Doch zurück zum Thema. Die unter ungünstige Umständen möglichen direkten Schadwirkungen von Fahrradhelmen haben noch einige nicht durch simple Mechanik faßbare, dafür aber allgegenwärtige Verwandten.

Einer, der recht gut erforscht ist, ist die Risikokompensation. Sie bedeutet ganz einfach, daß schon die Illusion der Schutzwirkung zu riskanterem Verhalten verleitet. Das gilt zum einen für den Radfahrer selbst. Er fühlt sich durch den Helm geschützt, fährt deshalb schneller und geht auch im Umgang mit anderen Verkehrsteilnehmern höhere Risiken ein. (Interessanterweise wurde dieser Mechanismus bei helmtragenden Fahrradfahrern vor einiger Zeit in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom Chef des Beratungsunternehmens Roland Berger als Beispiel für das unangemessen risikofreudige Verhalten von Finanzjongleuren herangezogen.) Übrigens ist die Risikokompensation auch schon im Zusammenhang mit Sicherheitsgurten, Motorradhelmen, Airbags und Sicherheitskomponenten in der Fahrwerksgestaltung hinreichend beobachtet und verifiziert worden.

Aber nicht nur der helmtragende Radfahrer kompensiert den tatsächlichen oder vermeintlichen Sicherheitsgewinn durch sein Verhalten. Auch andere Verkehrsteilnehmer betrachten Helmträger als besser geschützt und überholen sie deshalb beispielsweise enger. Dieses Verhalten ist in der Praxis unter anderem von englischen Forschern und von Berliner Studenten untersucht worden. Die Ergebnisse sind wegen der teilweise etwas freihändigen Gestaltung der Versuchsparameter zwar nicht hundertprozentig belastbar, die Tendenz wird aber durchaus bestätigt.

Beides, die Risikokompensation durch den Radfahrer und die durch andere Verkehrsteilnehmer, ist fatal. Denn selbst wenn der Helm den Kopf nennenswert schützen würde, beeinflußt er weder die Unfallursachen, noch kann er Unfallschäden an anderen Korperteilen verhindern. Ein Radfahrer mit Helm kann genauso unwillkürlich aus der Spur kommen wie einer ohne Helm – er braucht deshalb auch denselben Sicherheitsraum. Auch setzt ein Helm nicht die Fahrphysik außer Kraft. Kurz: Ein Helm verhindert keine Unfälle, deshalb darf das Verhalten mit Helm nicht sorgloser sein als ohne. Ist es aber.

Selbst Menschen, die in der Praxis viel mit dem Unfallgeschehen zu tun haben, verkennen nicht selten diese einfache Tatsache. So sind in zahlreichen Polizeiberichten über Fahrradunfälle Bemerkungen darüber zu finden, ob der Radfahrer einen Helm trug. Und das völlig unabhängig vom Unfallhergang und seinen Folgen. Ich habe mehr als einen Text gelesen, in dem ein typischer Abbiegeunfall geschildert wurde: Ein Radfahrer, der auf einem Radweg unterwegs war, wurde von einem abbiegenden Lkw überrollt und dabei getötet. Und in etlichen dieser Polizeiberichte stand dann, daß der Radfahrer keinen Helm trug. Liebe Leute bei der grünen Rennleitung: Wer großflächig von einem Lkw zermatscht wird, bei dem ist es piepegal, ob er einen Helm trug oder nicht, und bei einer Helmtragequote von wenigen Prozent bei Erwachsenen hatten mit größter Wahrscheinlichkeit die meisten Unfallopfer keinen Helm auf. Wenn dann aber seitens der Polizei von einer fehlenden Kopfbedeckung schwadroniert wird, ist das eine Verhöhnung des unschuldigen Opfers und eine unterschwellige Schuldzuweisung.

Das ist allerdings bei den Missionaren und Aposteln des Helmtragens nicht selten anzutreffen. Zuweilen hat man in einschlägigen Diskussionen den Eindruck, daß jede Kopfverletzung bei unbehelmten Fahrern lebhaft begrüßt wird und man sich voller Schadenfreude am Unglück des anderen ergötzt. Dumme Sprüche wie "Wer nichts zu schützen hat, fährt ohne Helm" illustrieren dann vollends das gedankliche Niveau dieser erweckten Besserwisser. Von einer bundesweit tätigen Helmaktivistin, die an keinem hingehaltenen Mikrofon vorbeigehen kann, ohne etwas hineinzukrähen, war sogar vor nicht allzu langer Zeit sinngemäß der Satz zu hören "Wer auch nur einen Meter auf dem Fahrrad ohne Helm zurücklegt, begibt sich in akute Lebensgefahr." Muß man das noch kommentieren? Eher nicht.


Noch ein paar Zahlen


Um die tatsächlichen Gefahren abschätzen zu können, sollte man sich einmal den Geschäftsbericht 2004 des Kuratoriums ZNS ansehen (auch als Hannelore-Kohl-Stiftung bekannt). Diese Leute beschäftigen sich intensiv mit Schädel-Hirn-Verletzungen und haben in dem genannten Bericht unter anderem die Ursachen dieser Verletzungen aufgeschlüsselt. Jetzt halte man sich fest: Radfahrer und Fußgänger zusammen (!) machen etwa 1 Prozent der Geschädigten aus. Weitaus mehr Schädigungen des Zentralnervensystems treten bei Autofahrern auf. Fordert deshalb jemand Autofahrerhelme? Ebenfalls um ein Vielfaches häufiger als beim Radfahren sind entsprechende Traumata bei Stürzen von Treppen und bei ähnlichen Alltagsunfällen. Logische Folge: Treppensteigerhelme jetzt!

Übrigens habe ich bei der Stiftung mehrfach nach der Grundlage dieser Zahlen gefragt. Keine dieser Anfragen wurde überhaupt beantwortet. Anscheinend wollte man sich zu diesem Punkt nicht weiter äußern, da man auf der anderen Seite großangelegte Kampagnen zum Helmtragen betrieben hat und sich nicht auf Widersprüche festnageln lassen möchte. Die Statistik findet sich denn auch im Bericht für 2004 zum letzten Mal – spätere Geschäftsberichte lassen entsprechende Zahlen vermissen.

Die Zahlen der Hannelore-Kohl-Stiftung zeigen aber eins, was sich auch sonst im Alltag immer wieder bestätigt: Radfahren ist keine gefährliche Tätigkeit, schon gar keine Risikosportart. Warum soll man sich in eine martialische Montur packen, womöglich noch signalfarbene Westen und sonstiges Lametta tragen, nur weil man ganz normal am Straßenverkehr teilnimmt? Helme sind Kleidungsstücke für Soldaten, nicht für jemanden, der auf gesundheitsfördernde Weise von A nach B gelangen möchte.


Die allgemeine Helmpflicht


Trotzdem wird sogar – meist pünktlich jedes Jahr zur Saure-Gurken-Zeit – von irgendwelchen Hinterbänklern oder von Berufsverbänden, die sich auch mal wieder in der Zeitung sehen wollen, immer wieder eine allgemeine Helmpflicht für Radfahrer gefordert. Und das ist wirklich ein ganz übler Blödsinn.

Wer es nicht glaubt, sollte sich einmal die Zahlen ansehen, die in Staaten mit Helmpflicht erhoben wurden. Schon berühmt sind die Beispiele Australien und Neuseeland. In beiden Staaten sank nach Einführung einer Helmpflicht die Zahl der Radfahrer deutlich. Was nicht sank, war die absolute Zahl der Kopfverletzungen bei Radfahrern. Das ist auch gut erklärlich: Wo Radfahrer eine regelmäßige Erscheinung im Straßenbild sind, rechnen Autofahrer mit ihnen und stellen sich darauf ein. In der Folge sinkt die Zahl der Unfälle. Umgekehrt funktioniert das ebenfalls – leider.

Was ist also in Australien und Neuseeland geschehen? Die Zahl der Radfahrer ist etwa um die Hälfte gesunken, damit ist auch für viele ehemalige Radfahrer der gesundheitlich präventive Effekt körperlicher Betätigung entfallen. Zugleich ist für die verbliebenen Radfahrer das individuelle Risiko deutlich gestiegen, in einen Unfall verwickelt zu werden. Was wurde also mit der Helmpflicht gewonnen? Nichts. Dafür wurde viel verloren.

Nun könnte man sagen, Neuseeland und Australien seien weit entfernt und taugten als Modell für Mitteleuropa nicht. Dann lohnt ein Blick in die Schweiz. Dort sank nach Erhebungen Schweizer Versicherungen über die Jahre hinweg kontinuierlich die Zahl der Kopfverletzungen bei Radfahrern. Dieser Rückgang stoppte, als sich das Tragen von Fahrradhelmen verbreitete. Woran das nun liegt, darüber läßt sich nur spekulieren. Die Fakten liegen jedoch auf dem Tisch. Nach Erwartungen von Helmbefürwortern hätte die Zahl der Verletzungen mit dem Anstieg der Helmtragequote signifikant weiter sinken müssen. Tat sie aber nicht.

Interessanterweise hält das etliche Schweizer Politiker nicht davon ab, die Einführung einer Helmpflicht weiter zu betreiben. Und das ist anderswo nicht anders. Obwohl die Schutzwirkung eines Fahrradhelms durch nichts belegt ist und obwohl die Folgen einer Helmpflicht andernorts nachweisbar sind, fordert man weiter einen Unsinn, der sich ganz allein aus der gedankenlosen Anbiederung an die verquasten Vorstellungen von Leuten nährt, die gegenüber Tatsachen blind sind, Fakten leichtfertig zurechtbiegen und anderen gerne Vorschriften machen.

Kürzlich sind wieder irgendwelche Ärzte mit der Forderung nach einer Helmpflicht an die Öffentlichkeit getreten. Auch sie argumentieren allein mit anekdotischem Wissen, sind aber nicht in der Lage, allgemeinere Zusammenhänge herzustellen. Das müssen sie auch nicht, denn Ärzte sind zwar Spezialisten für Honorarabrechnungen und nebenbei die Behandlung von Krankheiten und Verletzungen, aber eben nicht für Verkehrstechnik und Unfallforschung. Deswegen wären sie allerdings auch gut beraten, ihr Unwissen nicht laut herauszutrompeten. Denn was wollen diese Leute? Vielleicht einmal im Monat eine Hautabschürfung weniger auf dem Tisch, dafür drei Herzinfarkte mehr?

Für Politiker gilt das gleiche. Nur ist bei ihnen häufig noch schwieriger zu definieren, wo ihre Stärken liegen. Wenn irgendwo eine Sau durchs Dorf getrieben wird, die nach Wählerstimmen von Unbedarften riecht, traben sie einfach mal hinterher und quaken ihr aufgeschnapptes Halbwissen in die nächstbeste Fernsehkamera. Und da sie ohnehin häufig dazu neigen, die Freiheit anderer einzuschränken, um in die Abendnachrichten zu kommen, haben sie auch beim Fahrradhelm keinerlei Skrupel, die unsinnigsten Forderungen aufzustellen.

Dabei ist eins klar und unbestreitbar: Überall, wo in der Vergangenheit eine Helmpflicht eingeführt wurde, sank die Zahl der Radfahrer deutlich und mit ihr reduzierten sich die Vorteile für Umwelt und Gesundheit, die das Radfahren mit sich bringt. Und das für eine erbärmlich ineffiziente Schutzwirkung, die weitgehend im Wunschdenken der Helmbefürworter und der Helmhersteller existiert.

Statt für solche Sperenzchen Energie aufzuwenden, warum befaßt man sich nicht einmal mit der Sicherheitsausrüstung von Fahrrädern? Warum entrümpelt man nicht die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO), die beispielsweise Fahrradklingeln vorschreibt, aber alle Signalmittel, die von Autofahrern gehört werden könnten, explizit verbietet? Warum schreibt man keine Lichtanlagen vor, die über trübe Positionsfunzeln hinausgehen? Warum wird effiziente Fahrradbeleuchtung durch die StVZO teilweise sogar verhindert? Das würde tatsächlich Unfälle verhindern helfen und sich nicht auf die vage Hoffnung der Unfallfolgenmilderung beschränken.


Fazit


Wer einen Fahrradhelm tragen möchte, soll dies gerne tun. Wer ihn nicht tragen möchte, soll dies ebenfalls gerne und ohne schlechtes Gewissen lassen. Denn die vollmundigen Heilsversprechungen von Helmevangelisten sind weitgehend unhaltbar. Man verkauft Ängstlichen einen Schutzzauber, der unter Sicherheitsaspekten reines Symbol bleibt. Zugleich verschweigt man stets eine ganz simple Tatsache: Noch nie hat ein Fahrradhelm einen Unfall verhindert. Und die Unfallfolgen, die er angeblich mildern soll, ließen sich auf ganz andere Weise erheblich stärker verringern. Durch aufmerksames Verhalten der Radfahrer und anderer Fahrzeugführer, durch gleichberechtigte Teilnahme der Radfahrer am Straßenverkehr, durch weniger radfahrerfeindliche Gestaltung von Verkehrsräumen, nötigenfalls durch Tempobegrenzungen und andere lenkende Maßnahmen.

Wer Radfahrern mit fadenscheinigen Argumenten einen Helm aufnötigen möchte, will oft genug andere Verkehrsteilnehmer von ihrer Verantwortung für ein von gegenseitigem Respekt geprägtes Verhalten befreien und den Radfahrern die Lasten aufbürden, die rücksichtsloses Rasen und erschreckend dumme Verkehrsplanung überhaupt erst entstehen lassen.

Und noch eins, auch wenn ich mich wiederhole: Radfahren ist nicht gefährlich. Für den Kopf sind Autofahren, Treppensteigen und Fensterputzen gefährlicher. Solange keine Autofahrerhelme vorgeschrieben werden, trage ich auch keinen Helm beim Fahrradfahren. Wozu auch?