Erfrischung und die Melancholie des Kassierers


Kombibad Köln-Höhenberg



Dieser Text stammt aus dem Jahr 2003. Inzwischen wurde das Bad totalsaniert, ist schöner, moderner, hat aber ein wenig Flair verloren.


Grüßen, leichtes Kopfnicken, keine Reaktion von dem früh gealterten Mann an der Kasse. Also gleich zahlen: „Einmal“, dabei klirren 3,30 Euro auf dem Tresen. Der Mann in seinem billigen Norwegerpulli verstaut das Geld in der Kasse, kramt einen Kunststoff-Jeton hervor, wendet sich resigniert ab.

Also weiter zum Drehkreuz. Dort den Jeton einwerfen, unten wieder auffangen und hinein. Einige Meter geradeaus, an Münzhaartrocknern und Wertfächern vorbei, um die Ecke, eine der Sammelumkleiden betreten. Hier ist es schwülwarm. Immer. An Sommertagen mit hohem Besucherandrang liegen Chipstüten und deren Inhalt auf dem Boden, manchmal steht eine Colaflasche auf der umlaufenden Sitzbank. Etliche Schränke sind nicht benutzbar: Das Schloß ist aufgebrochen oder die Tür fehlt ganz.

Schnell umkleiden. In jeder Sammelumkleide gibt es auch zwei abschließbare Kabinen. Die werden eigentlich nur von besonders schüchternen Kindern oder Jugendlichen benutzt. Während des Umziehens gerät man ins Schwitzen. Mit dem Eintrittsjeton lassen sich die Garderobenspinde abschließen: Einwerfen, Schlüssel drehen, herausziehen, Band ums Handgelenk. Vorher besser nachsehen, ob das Band noch einen Verschluß besitzt, sonst den Schrank wechseln.

Weiter zur Dusche. Je Geschlecht zwei große Duschräume mit je einem Dutzend Duschköpfe. Der Türschließer des einen Duschraums ist seit Wochen defekt. Egal. Die erste Dusche besitzt keinen Duschkopf - dort kommt das heiße Wasser in einem daumendicken Strahl herab. Zuweilen sieht man dort Jugendliche, die sich das Wasser auf die ... nun ja ... Leibesmitte prasseln lassen. Kommt jemand herein, drehen sie sich schnell zur Ecke.

Den Straßenstaub abspülen. Drumherum Greise, die ihr Wochenbad nehmen und große Probleme beim Reinigen der Füße haben. Oder Vorstadt-Beaus, die alle das gleiche Duschgel mit billigem Kunstmoschus bei Schlecker gekauft haben. Oder Dauerduscher, die jeden Neuankömmling freundlich interessiert mustern. Einer der Bodenabläufe ist seit Wochen verstopft. Nach drei Minuten Duschen steht man in einer stetig anwachsenden Pfütze.

In die Halle - nein! - vorher noch einem menschlichen Rühren nachgehen. Die Toiletten riechen. Nach Urinalsteinen und nach Bedürfnissen. Zwei Toiletten je Geschlecht. In den Herrentoiletten je eine Kabine und vier Urinale. In der Kabine ist das Becken vollgekackt. Papier gibt es nur aus einem großen Spender neben dem Waschbecken, aus dem man es sich mit meist nassen Händen auf Vorrat herausziehen muß. Wenn welches da ist.

In der Halle plötzlich Licht und Weite. Links ein flaches Kinderbecken, lauwarm. Gott weiß, wovon. Darin fröhliche Kinder. Denen gefällt es hier. Auf Liegestühlen Muttis am Beckenrand, die schon dem Vorabendprogramm entgegendämmern. Dazwischen immer wieder lautes Gejohle und klassisch servierte Arschbomben - in das Kinderbecken mündet die Wasserrutsche, die etwa drei Stockwerke hoch am Ende einer Wendeltreppe hinten rechts beginnt, dann in einer transparenten Röhre 83 Meter lang halb ums Gebäude herumführt. Ganz links eine Solariumskabine mit Münzeinwurf. Nie benutzt, da die Sonne draußen gratis scheint.

Rechts vor dem Aufgang zur Rutsche liegt das Sportbecken, 25 Meter lang mit sechs Bahnen und einem Sprungturm (1er und 3er). Die Bahnen am Sprungturm sind häufig nicht benutzbar. Entweder wird dort gesprungen, oder sie sind für Schwimm- oder Tauchkurse abgesperrt. Den Rest der Fläche teilen sich Bahnenschwimmer aller Couleur. Solche wie ich, die ein wenig Bewegung suchen, und Kampfschwimmertypen, die sich rücksichtslos durch alles hindurchpflügen, was ihren Weg behindert. Wenn im Hochsommer das Bad voll ist, kann man das Bahnenschwimmen vergessen, dann haben die Kinder die Fläche komplett okkupiert. Ich gönne es ihnen.

Durch die hohen Glaswände sieht man nach draußen. Dort befindet sich außer einem kleinen Planschbecken noch eine 25 x 25 m große Wasserfläche. Von der Hausseite her über eine breite Treppe zugänglich, fällt das Becken sanft bis 1,50 m Tiefe ab. Bei kühlerer Witterung der Geheimtipp für Schwimmer, die dann ungestört hinten quer ihre Bahnen ziehen können. Die Außenanlage besteht aus einem großen, aber recht trostlosen Rasengrundstück, auf dem Bänke und Papierkörbe verteilt sind. Platz zum Sonnen ist genug.

Drinnen ein paar Bahnen schwimmen, meist im Slalom um andere Stammgäste herum. Man kennt sich vom Sehen, nimmt Rücksicht, und dann reichen vier Bahnen für zehn Personen. Wenn keine Kampfschwimmer unterwegs sind.

Zwischendurch auf einer Wärmebank ausruhen. In Gesellschaft älterer Herrschaften, die ihre Enkel hierher begleitet haben und sich die vom Wasser zurückblitzenden Sonnenstrahlen übers welke Fleisch wandern lassen. Zufriedene, ruhige Gesichter. Auch bei den zahlreichen türkischen Familien, die das Bad praktisch direkt vor der Haustür haben. Ein Anflug sympathischen orientalischen Flairs - typisch für dieses Arbeiterviertel.

Jugendliche treiben ihren früh- bis postpubertären Schabernack. Sie schrill aus dem schreibunten Tankini kichernd. Er in knielangen Shorts, die zu Kaiser Konstantins Zeiten mühelos als Soldatenrock durchgegangen wären. Aber alles schön gesittet, damit nicht die zu Statuen erstarrten Bademeister unverhofft zum Leben erwachen. Speckbrüstige Neunjährige tragen ihr letztes Taschengeld für Kalorienreiches zum Kiosk - glücklicherweise in Badebekleidung, der der TÜV eine Reißdehnfestigkeit von mindestens 300% bescheinigt hat.

Noch ein paar Bahnen schwimmen, dann Duschgel aus dem Spind holen, gründlich reinigen. Den freundlich lächelnden Dauerduscher ignorieren - die tun nix, die wollen nur spielen ...

In der Umkleide Sturzgefahr durch knapp meterhohe Kinder, die im Affenzahn Nachlaufen spielen und dabei ein infernalisches Gebrüll loslassen. Na ja, wir leben nicht alleine auf der Welt, und irgendwer soll später mal meine Rente zahlen. Umziehen, dabei nicht auf die Chips treten. Abtrocknen ist schwierig, da die Luftfeuchtigkeit noch gestiegen zu sein scheint.

Schließlich doch geschafft. Jeton nicht vergessen, raus durchs Drehkreuz, dort den Jeton zurücklassend. Der Mann an der Kasse ist inzwischen völlig in sich zusammengesunken, die Last der Welt war zu schwer für ihn. Trotzdem einen Gruß loslassen, ein freudloses Lächeln ist der schon nicht mehr erhoffte Dank. Dann blickt er wieder auf seinen Tresen. Vielleicht im Geist ganz anderswo, vielleicht ein Dichter.

Ein Regentropfen
scheint hell auf im Sonnenlicht;
der See ist dunkel.