Die Schweineorgel gluckst und blubbert


Hammond B3



Diesen Text habe ich 2002 auf zwei Verbraucherplattformen veröffentlicht. Inzwischen gibt es natürlich auch weitere, aktuellere Musikbeispiele.

Donnernde Klanglawinen, unterirdisches Grunzen, fettes Schmatzen und schrille Pfiffe. Ein lebendiges Instrument, das feierlich oder aggressiv, sanft schmeichelnd oder ohrenbetäubend klingen kann. Ein bleischwerer Trümmer. Eine Hammond B3.

Der Begriff "Hammond-Orgel" stand lange Zeit für das gesamte Segment der elektronischen und elektromagnetischen Profi- oder Heimorgeln. Die Hammond war das erste elektrisch betriebene Instrument, das sich in großen Stückzahlen durchgesetzt hat, eine Vorläuferin der heutigen Synthesizer und Keyboards.

Andere Entwicklungen wie Friedrich Trautweins Mixtur-Trautonium fanden in der E-Musik (z. B. in Kompositionen von Paul Hindemith oder Oskar Sala) einige Zeit Beachtung, wurden aber wegen der komplizierten Spieltechnik und des recht eingeschränkten Klangspektrums nur in kleinen Stückzahlen verkauft und gespielt.


Da kommt der Sound her


Vom Funktionsprinzip her ähnelt die Hammond entfernt der E-Gitarre. Bei beiden Instrumenten werden mechanische Bewegungen von elektromagnetischen Tonabnehmern aufgenommen und an Verstärker weitergeleitet. Während es bei der Gitarre schwingende Seiten sind, rotieren in der Hammond pro Manual zwölf Zahnräder (für die zwölf Töne einer Oktave), die sogenannten „Tone-Wheels“.

Die Tonabnehmer geben (annährend genaue) Sinuswellen weiter. Von der einen abgegriffenen Oktave werden alle anderen abgeleitet. Dies ist der erste Baustein des typischen Hammond-Klangs.

Der zweite Baustein ergibt sich aus der sogenannten Mehrchörigkeit. Was bedeutet das? Die größeren Hammond-Modelle, also auch die berühmte B3, verfügen über 9 Register, die auf jeder Taste den Sinuston in mehreren Tonhöhen zur Verfügung stellen. Wie bei einer Pfeifenorgel werden diese Register nach den sogenannten Fußlagen benannt: 16, 8, 5 1/3, 4, 2 2/3, 2, 1 3/5, 1 1/3 und 1 Fuß. Diese Angabe beruht auf der Tatsache, daß in einem Orgelregister die Pfeife des Grundtons eine bestimmte Länge besitzt, die in Fuß angegeben wird. Und diese Länge bestimmt die Tonhöhe: Wenn beispielsweise das C in 8' gespielt wird, dann liegt das 16'-C eine Oktav tiefer, der 4'-Ton eine Oktav höher. Der 5 1/3'-Ton bildet die Quint - im Beispiel also das G. Auf diese Weise können dem nahezu obertonfreien Sinus der Hammond harmonische Obertöne beigemischt werden, es ergeben sich dadurch unzählige verschiedene Klangfarben. Da inkl. Grundton 9 Töne auf jeder Taste zur Verfügung stehen können, spricht man von einer 9chörigen Orgel. Die Mischung erfolgt quasi stufenlos über sogenannte Zugriegel. Das sind ausziehbare Griffe, die ein Schiebepotentiometer bedienen und jeweils eine Fußlage repräsentieren. Die Einstellung der Zugriegel gilt immer für ein komplettes Manual.

Der dritte Baustein des typischen Hammond-Sounds ist eigentlich ein Bug - der sogenannte Key-Klick. Bei jedem Anschlag ist ein sehr kurzes scharfes Klicken zu hören. Es rührt daher, daß im Unterbau der Tastatur die Töne über eine Draht-Verharfung geschaltet werden: Die gedrückte Taste stellt je Fußlage einen Kontakt zwischen einem parallel zur Taste liegenden und einem quer unter dem Manual verlaufenden Draht her. Da aus Gründen der mechanischen Toleranzen die Kontakte bei mehrchöriger Registrierung nicht exakt gleichzeitig schließen, entsteht das typische Störgeräusch. Nicht zu verwechseln ist das übrigens mit der Perkussion. Bei der Perkussion werden hohe Töne zugeschaltet, die (über einen Hüllkurvenfilter gesteuert) sehr schnell abklingen und damit zu Beginn des Tastendrucks einen kurzen Klangimpuls geben.

Der vierte Baustein des Hammond-Klangs stammt interessanterweise nicht von Hammond, sondern von der Firma Leslie. Es ist das Rotationskabinett, über das Hammonds typischerweise verstärkt und wiedergegeben werden. In dem recht wuchtigen Gehäuse rotieren Hoch- und Tieftöner. Bei abgeschalteter Rotation klingt die Hammond recht ruhig, bei voller Registrierung ähnlich einer Kirchenorgel. Die langsame Rotation erzeugt eine Art Chorus-Klang, wie er bei vielen Keyboards heute eingeschaltet werden kann. Die schnelle Rotation schließlich bringt das typische rollende Gurgeln in den Ton, das zusammen mit einer höhenbetonten Registrierung das von vielen Alleinunterhaltern bevorzugte Klangbild erzeugt. Das Rotationskabinett (von Musikern oft nur kurz nach dem Hersteller als "Leslie" bezeichnet) macht sich den Doppler-Effekt zunutze. Man kennt ihn im Alltag von einem mit Martinshorn vorbeifahrenden Krankenwagen: Bei Annäherung ist der Ton leicht erhöht, beim Entfernen leicht abgesenkt.

Klangbeeinflussungsmöglichkeiten wie das Vibrato oder Tremolo ergeben durch schnelle lineare Tonhöhenverschiebungen einen eher gewöhnungsbedürftigen Effekt - man kennt ihn sattsam von den frühen Farfisa- oder Bontempi-Heimorgeln.


Die Hammond in verschiedenen Genres


Eingesetzt wurde die Hammond in ihrer Frühzeit gerne in amerikanischen Kirchen. Der Klang war hinreichend dem einer Pfeifenorgel ähnlich, das Instrument deutlich billiger als selbst eine kleine Truhenorgel. Aus dieser Umgebung wurde die Hammond „erlöst“, als sich in den 50er Jahren Jazzmusiker des Instruments anzunehmen begannen. Der König unter den Hammond-Jazzern (in Amerika auch organ grinder genannt) ist bis heute unbestritten Jimmy Smith. Mit seiner Virtuosität, seinem teils atemberaubenden Tempo (in einer Live-Aufnahme aus den 50ern z. B. spielt er gut zwanzig Minuten lang „Sweet Georgia Brown“ in einem Affenzahn daher) und seinem Gefühl für „schwarze“ Harmoniekonstruktionen hat er Jazzgeschichte geschrieben und dabei vorwiegend für das Label „Blue Note“ unzählige Platten eingespielt. Dabei verläßt er sich meistens auf eine sehr einfache Registrierung aus 16, 5 1/3 und 8", der bei Bedarf Obertöne zugemischt werden, das schnelle Leslie hört man bei ihm selten. Anders Milt Buckner. Etwa bei seinem Konzert mit Lionel Hampton, wo er zwar (meines Wissens) keine Hammond spielte, sondern eine Wurlitzer, die aber derart kreiseln und gurgeln ließ, daß es eine Freude war. Buckner spielt weniger bluesorientiert, oft mit mehr Swing als Smith, insgesamt klingen seine Improvisationen mehr nach „easy listening“.

Ganz im Gegensatz dazu eine moderne Jazzorganistin, Barbara Dennerlein. Mit ihrer umgebauten B3, in die sie einen Pedalsynthesizer mit sehr echten Akustikbaß-Klängen hat integrieren lassen, versucht sie sich gerne an avantgardistischerer Improvisation. Daß sie eine Verehrerin von Charlie Parker ist, merkt man dabei an allen Ecken und Enden. Mein Geschmack ist es nicht ganz, obwohl auch sie sehr virtuos spielt. Wie ein früherer Kollege sagte: „Smith hat mehr Blues im kleinen Finger als diese Dame in beiden Händen. Klar, schnell ist sie schon ...“ Und sie hat ein schnelles Mundwerk. Ihre abfälligen Bemerkungen über Jimmy Smith (vor ca. 3 Jahren im „Spiegel“) ließen mehr flott formulierte Unreife als Kompetenz vermuten.

Ein weniger bekannter Vertreter ist Jimmy McGriff. Manche kennen ihn indirekt von der Titelmusik zum Film „Shaft“, aber er hat ein weitaus breiter gespanntes Repertoire, als diese recht simple Komposition vermuten läßt. Wer ihn antiquarisch auftreiben kann, sollte sich den Sampler „Georgia On My Mind“ besorgen, da gibt es einen schönen Querschnitt durch McGriffs Werk.

Natürlich gibt es eine Vielzahl weiterer Jazzorganisten wie Lou Donaldson, Wild Bill Davis. Lonnie Smith oder Lucky Peterson, aber auch in Pop und Rock ist die Hammond immer wieder zu hören.

Viele der Älteren (und der oldiebegeisterten Jüngeren) werden sich an die Klassiker von Deep Purple, Emerson, Lake & Palmer oder Santana erinnern, in denen die Hammond eine zentrale Rolle spielt. Vor allem John Lord von Deep Purple zeigte sich live als wahrer Meister seines Instruments. Oft voll registriert, mit schneller Rotation ließ er seine Hammond weit aufgedreht in den Röhrenverstärker blasen, der dann auch prompt übersteuerte und damit ein warmes, obertonreiches Kratzen dem Glucksen, Grunzen, Schmatzen, Gurgeln, Wimmern und Vibrieren des Hammond-Sounds hinzufügte. Unvergessen jener Auftritt, bei dem Lord die Orgel wild hin und her kippte (bei dem Gewicht - schätzungsweise - eines Fiat 126 eine nicht unbeachtliche Muskelleistung) und schließlich völlig enthemmt gegen das Tone-Wheel-Gehäuse trat. Die dadurch provozierten Töne hat wohl zuvor noch keine B3 von sich gegeben.

Heutzutage ist die Hammond im Pop und Rock meist dekorative Mitspielerin. Im letztjährigen Sommerhit der Gruppe Toploader „Dancing In The Moonlight“ etwa kommt sie vor, wobei Keyboarder Joseph Washburn jedoch nur wenig einfallsreiche „Licks“ einstreut. Oder bei Chico DeBarge: Auf dem Album „Long Time No See“ läßt er sie in der gleichen Tonalität auftreten, in der sie zur Begleitung von Baptistenchören immer noch häufig zu hören ist - sozusagen eine Reverenz an die Wurzeln der Hammond und des Soul zugleich.

Wirklich begeistert hat mich an Rockeinspielungen mit der Hammond in den letzten Jahren lediglich die deutsche Band „The Rotosonics“ mit ihrem gleichnamigen Album. Die Truppe um den Organisten und Keyboarder Jojo Büld schafft es, sich ganz selbstverständlich auf einem schmalen Grat zwischen Deep Purple und Franz Lambert zu bewegen und dabei wahnwitzig lockere Ohrwürmer wie „HB Kätzchen“ zu produzieren.


Eigene Hammond – echt oder virtuell


Jojo Büld führt mich zudem zu den heutigen technischen Existenzformen des Hammond-Sounds. Die Produktion der elektromechanischen Monstren ist längst eingestellt, frühere Nachempfindungen von Wersi, Dr. Böhm, Farfisa und wie sie alle heißen haben den Klang nie richtig reproduzieren können. Wer heute eine B3 spielen möchte, kann sie gebraucht kaufen. Dann hat er ein Transportproblem. Und eins im Geldbeutel, denn eine optisch einwandfreie, technisch generalüberholte B3 kostet ab etwa 10.000 DM aufwärts.

Ein weiterer Weg führt über MIDI-Expander. Beispielsweise den, der wieder unter dem Namen „Hammond“ verkauft wird, aber irgendwo in Japan vom Band läuft. Der Sound ist gut, die Zugriegelsteuerung sehr gelungen, die elektronische Nachahmung des Leslie-Effekts läßt leicht zu wünschen übrig. Eine gute Figur machen elektronische Komplett-Instrumente wie die BX-3 von Korg (auch einmanualig als CX-3 hergestellt). Optisch sehr schön in ein Nußbaum-Gehäuse gebaut, klingt sie über ein Leslie gespielt dem Original täuschend ähnlich (man kann natürlich nicht in die Tone-Wheels treten). Soweit ich weiß, ist allerdings auch die BX-3 inzwischen nur noch gebraucht erhältlich.

Sehr schön gelungen ist die Software-Implementation der B3 von Native Instruments. Mit dem Namen „B4“ gibt es die Software als VST-Plugin oder als Standalone-Programm für Windows und Mac. Ein liebevoll gestaltetes Interface bildet die B3 in der Aufsicht ab und erlaubt das Ziehen der Zugriegel und das Drücken der Tasten ebenso wie die Bedienung der übrigen Schalter und Wippen. Bei www.native-instruments.com kann man sich eine Demo laden, der netterweise gleich einige Demosongs beiliegen - unter anderem das erwähnte „HB Kätzchen“ von Jojo Büld (als hb2.mid).

Letztlich bleibt mein Traum aber eine waschechte, mit ihren zwei Manualen und dem Vollpedal das halbe Wohnzimmer füllende B3. Ein echtes Schätzchen, das man pflegen muß, bei dem man die Tone-Wheel-Achse regelmäßig ölen soll und das mit der Zeit immer besser wird. Vielleicht später mal, wenn die Kinder aus dem Haus sind - denn vorher werden mir Geld und Platz dafür fehlen.

Ich könnte stundenlang weiter über die B3 und die an und mit ihr tätigen Virtuosen schreiben - aber es gibt wohl auch eine Maximalspanne für die Aufmerksamkeit eines Lesers. Deshalb zum Schluß nur noch die Aufklärung des Beitragstitels: Vor etwa 15 Jahren saß ich in meiner damaligen Studentenbude im Tiefparterre bei leicht geöffnetem Fenster und traktierte begeistert eine reichlich abgegriffene Hammond M100 (für mehr langte das Budget nicht). Da klopfte es heftig ans Fenster - draußen stand ein erboster Nachbar, der um Reduzierung der Lautstärke bat. Um mich ein wenig zu beleidigen, fügte er den Satz hinzu: „Wissen Sie, früher nannten wir dieses Ding immer die 'Schweineorgel'.“ Das fand ich keineswegs beleidigend - im Gegenteil: Mal lieb und nett, mal schmutzig, aggressiv und enthemmt, mal röhrend und grunzend, wird die Hammond diesem Begriff doch sehr gerecht.


Auch hier eine Nachbemerkung: Im Text (der nun auch schon etliche Jahre auf dem Buckel hat) wird u. a. Barbara Dennerlein kurz erwähnt. Meine damalige Einschätzung und die zitierte meines Kollegen muss ich mittlerweile, nachdem ich sie mehrfach live erlebt habe, doch recht deutlich relativieren. Kurz: Die Frau ist gut und kommt zudem ziemlich sympathisch rüber. Ich lasse den Absatz trotzdem im Text stehen, denn das war seinerzeit mein Eindruck. Dass sich jemand weiterentwickelt und das auch deutlich wird, ist ja nur gut.