Im stillen Kämmerlein


Oscar Peterson – We Get Requests



Am besten ist Oscar Peterson dann, wenn er sich Zeit nehmen kann. Nicht daß seine Live-Performance Anlaß zur Kritik geben würde - selbst nach Überstehen seines Schlaganfalls und der mühsamen Rehabilitation hat er mit atmeberaubenden Läufen und einem unerbittlichen Tempo sein Publikum ebenso verblüfft wie seine Mitspieler.

Nein, Peterson ist am besten, wenn er Einspielungen bis zur Perfektion treiben kann, wenn er verbessern, feilen und drechseln kann, bis das Ergebnis jenseits aller Kritik steht.

Dabei liefert Peterson im besten Sinne konventionelle Stücke ab - meist ohne Ecken und Kanten, angenehm zu hören und dabei doch so elaboriert und gekonnt, daß er nie in die Kategorie Fahrstuhlmusik abzurutschen droht (auch wenn er, wie etwa bei einer streicherbegleiteten Version von Jobims Klassiker "Wave" auf dem Album "Motions and Emotions" manchmal sehr nahe dran ist).

Peterson-Fan war ich schon, bevor es CDs gab (ja, es gab eine Zeit davor *g*), und so war es kein Wunder, daß "We get requests" zu den ersten Anschaffungen auf dem neuen Tonträger zählte, nachdem ich endlich von Vinyl umgestiegen war.

Diese Sammlung von kammermusikalisch perfektem Klaviertrio-Swing klingt heute noch so frisch wie vor gut 35 Jahren, als sie eingespielt wurde. Es scheint sogar, als habe Peterson die Absicht gehabt, hier einen Klassiker zu schaffen, der einfach nur gut sein wollte und in vielen kleinen Details augenzwinkernd an die abendländische Musikkultur anknüpfen sollte. Ob es der mit der Hand über die Klavierseiten gestrichene Cluster ganz zu Beginn der Platte ist, der wie ein Harfenakkord klingt, ob es der gestrichene Baß in der Exposition von "You Look Good to Me" ist oder kleine Verspieltheiten wie die kurze Paraphrase von Bachs "Wachet auf" am Ende eines Stückes: Ironie blickt allenthalben durch.

Den Auftakt macht Corcovado, auch dies ein Jobim-Standard. Peterson gelingt es hier, den Drive des Bossa Nova in einem etwas schnelleren, etwas glatteren 8/8-Rhythmus abzubilden und dabei das Stück völlig neu zu interpretieren (wer die etwas weinerliche Interpretation von Astrud Gilberto kennt, weiß, daß das dem Song sehr gut tut *g*). Ein flotter Einstieg für die CD, der gleich gebührend auf das einstimmt, was da noch kommt.

Und das ist eine Menge: Herausragend ist zum Beispiel der im Original etwas seichte Schlager "Days of Wine and Roses". Er kommt sehr majestätisch daher und schafft es, bei einem deutlich langsameren Tempo trotz markanter Block-Akkorde die nicht geschlagenen Taktteile fast noch präsenter zu machen als die gespielten Noten. Nach jedem Akkord der Einleitung holt man Luft und ist gespannt auf den gekonnt verzögerten nächsten. Mit eleganten Läufen und sparsam eingesetzten Rubato-Partien wird das Stück vorbereitet, um dann in einen flott marschierenden Swing fortzufahren, der regelmäßig beim Zuhörer ein etwas irre wirkendes rhythmisches Kopfnicken auslöst ;-)

Ein weiteres überraschendes Stück ist "Have You Met Miss Jones?". Wenn man nicht darauf gefaßt ist, erkennt man die Melodie beinahe nicht auf Anhieb wieder. Fast stockend, mit stark verfremdetem Tempo kommt der Titel daher. Und hier sieht man auch, daß Peterson nicht nur der Meister der schnellen Sopran- und Diskant-Läufe ist, sondern auch die tieferen Register des Flügelklangs gekonnt einzusetzen weiß.

Mein absoluter Favorit auf der Platte ist allerdings "You Look Good To Me". Wie bei "Sandy's Blues" (im sehr hörenswerten CD-Set "Exclusively for my friends" zu finden) geht das Trio langsam an das Thema heran. Während "Sandys Blues" jedoch von einer ganz beiläufigen Klavierphrase eingeleitet und dann in diesem Stil immer weiter gesteigert wird, kommt "You Look Good To Me" mit einer sehr feierlichen Einleitung des gestrichenen Basses daher, die bald von perlenden Klavierklängen dezent begleitet wird. Der Baß wird bald nicht mehr gestrichen, sondern in technisch perfekten Läufen gezupft, die Klavierakkorde akzentuieren, um dann übergansglos in einen mächtig swingenden "Walking Bass" zu verfallen, der einfach mitreißt und den Zuhörer in helles Staunen versetzt. Nach viel zu kurzen Minuten wird dann das Ganze rückwärts abgewickelt (hierin wieder "Sandy's Blues" ähnlich) und endet auf einem langen, ruhigen gestrichenen Baßton. Hier wäre der Punkt, an dem das Publikum in frenetischen Jubel verfällt, aber es ist eben eine Studio-Aufnahme. In der Live-Version, die Peterson Jahre später im "Blue Note" aufnahm, ist übrigens die Stimmung völlig anders. Nach meinem Dafürhalten wird der Titel dort reichlich lieblos heruntergenudelt - perfekt zwar, doch mit dem leblosen Flair des Zugaben-Teils.

Der Rest der Platte dient der Erholung. "The Girl From Ipanema" klingt weder besonders spannend, noch irgendwie neu - das Stück wäre ebensogut auf einer Sammlung mit Standards aufgehoben gewesen, die man eben nun mal einzuspielen hat (Erroll Garner hat aus der Nummer mehr gemacht).

Nach (für Petersons Verhältnisse!) weiterem gutem Durchschnitt klingt die CD mit "Goodbye, J.D." aus. Hier hat man den Eindruck, daß der meister es uns noch einmal richtig zeigen will. Von Anfang an geht hier "die Post ab" - mit einem Affenzahn jagt Peterson durch die Harmonien und zeigt Zuhörern wie Kollegen, was am Klavier eine Harke ist. Hin und wieder gekonnte Dissonanzen einfügend (die manchmal an das ironische Spiel Thelonious Monks erinnern), spielt er mit einem fingerbrecherischen Elan, der einfach demonstriert, was möglich ist. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

Nach dem Ende der CD muß man erst einmal durchatmen und bewundernd den Kopf schütteln: Meine Herren, was haben die Jungs 1965 eine Musik gemacht! Und dann? Einfach nochmal von vorne hören, bis zum Abwinken - das muß so sein!