Carter zeigt, wie's geht!


Ron Carter - Pastels



Ron Carter hat bekanntermaßen keinerlei Berührungsängste - das macht ihn so vielseitig und viele seiner Alben erfreulich unkonventionell. Ein gutes Beispiel dafür ist diese Aufnahme von 1976. Hier spielt er in bewährter Triobesetzung (Kenny Barron am Piano und Harvey Mason an den Drums), ergänzt durch den Routinier Hugh McCracken an der Gitarre und ein leibhaftiges Streicherensemble. Das ist eine pikante Mischung, da sie doch gleich an Salonjazz und Easy Listening denken läßt.

Schlimm wäre das nicht, aber Carter macht allen Erwartungen einen Strich durch die Rechnung: Die Gitarre entlastet den Bassisten im Rhythmus-Geschäft, und die Streicher fügen sich als fünfte Stimme perfekt in die Combo ein. Ansonsten wird hier lupenreiner Jazz gespielt, der für die Verhältnisse der 70er Jahre sehr elegant auf Distanz sowohl zu den Swing-Traditionalisten als auch zur harmonie- und melodiefernen Avantgarde bleibt.

Die Bandbreite der einzelnen Stücke ist angenehm weit gespreizt. Interessant ist dabei, wie unterschiedlich die Streicher eingesetzt werden. Mal legen sie einen weichen Klangteppich aus, mal werden sie (wie beim Titelstück mit seinen Barock-Zitaten) in einer formalen Melodielinie eingesetzt, mal setzen sie einzelne Shouts und kurze Riffs, die auch ein Satz Bläser hätte übernehmen können. Alles sehr schön abwechslungsreich. Daß Carter mindestens ebenso abwechslungsreich agiert, darf man wohl voraussetzen, und diese Erwartung erfüllt er auf dem Album auch auf das Schönste.

Bei den meisten CDs oder LPs geht mir spontan ein Lieblingsstück ins Ohr, das sich dann auch eine ganze Weile darin einnistet. In diesem Fall ist es „One Bass Rag“. Ein größtenteils geradeaus swingender siebeneinhalb Minuten langer Track, bei dem Carter vorführt, wie man einen Walking Bass spielt, der sich ganz zwanglos von eingefahrenen harmonischen Mustern löst, ebenso zwanglos in solistische Passagen wechselt, mal die Melodie übernimmt, dann wieder als Fundament das Stück in einen nach vorne drängenden marschierenden Rhythmus zwingt. Kurz und gut: Hier zeigt Carter, wie's geht, und das mit Ohrwurmqualität.

Ich kann hier guten Gewissens eine klare Kaufempfehlung abgeben. Ron Carter zeigt sich in allen Rollen: als Melodiker, als brav sich einordnender Rhythmiker, als grandioser Solist. Und in jeder Rolle liefert er beispielhafte Leistungen ab. Also, ich wiederhole mich: kaufen!