Fahrstuhlmusik auf hohem Niveau


Bohren und der Club of Gore - Black Earth


Im Ruhrgebiet hat sich eine rege und sehr differenzierte Musikszene entwickelt. Neben Pop-Giganten wie Herbert Grönemeyer sind dort etliche kleine und weniger bekannte Bands zuhause, die quer durch die Genres alles spielen, wozu sie Lust haben und was im Spektrum der zeitgenössischen Musik denkbar ist.

Eine davon ist Bohren und der Club of Gore. So interessant der Name der Band scheint, so ungewöhnlich wirkt die Musik beim ersten Hinhören. Die vier Musiker spielen rein instrumental auf Drums, Saxophon, Klavier, E-Piano, Mellotron und Bass. Schon die Instrumentierung zeigt, daß man mit Zeitgeist- und Trendmusik wenig am Hut hat: Das Mellotron als Urgestein der halbsynthetischen Popmusik mit seinen „Huh“- und „Hah“-Chorstimmen, das Fender-Rhodes-Piano als Vertreter der 70er-Avantgarde, der Rest aus der klassischen Klavierquartett-Besetzung des Bar- und Club-Jazz.

Die Musik selbst ist vor allem eins: langsam. Die Harmonik und Melodieführung speist sich aus dem Cool Jazz der 50er Jahre, enthält auch Elemente, wie sie Marcus Miller (mit Miles Davis) in „Music from Siesta“ bis zum Überdruß repetiert hat. Alles in allem recht konventionell, ohne echte Virtuosität, aber gekonnt durchkomponiert und vorgetragen.

Es wird zuweilen gelästert, Bohren und der Club of Gore habe zum langsamen Tempo gefunden, weil die Musiker ihre Instrumente nicht ausreichend beherrschten. Das halte ich für Unsinn oder einen etwas schrägen Marketing-Gag. Zumindest wird durch das extrem zögerliche Tempo eine sehr gelassene, bis fast zu Stasis beruhigte Stimmung geschaffen.

Unterstützt wird das durch die Arrangements, die vor allem einen breiten Klangteppich schaffen, der ohne Höhen und Tiefen dahintreibt, kaum Melodien hervortreten läßt, sondern höchstens minimalistische Tonfolgen, die sich wiederholen, zuweilen leicht variieren und immer in den fließenden, teils wabernden Hintergrund eingebettet sind.

Die Musik auf „Black Earth“ und auch auf „Sunset Mission“, dem letzten Album der Band, wird gerne als düster, depressiv, schwarz bezeichnet. Ich kann dem nicht folgen. Sicher: Die Sache kommt langsam, ohne Schwung oder Kaprizen daher, schwelgt in Moll-Harmonien und - dank des oft dominierenden, tief gestimmten Basses - in dunklen Tiefen. Man kann das auch gut anhören, sogar konzentriert hören, und wenn man in depressiver Stimmung ist, wird einen die Musik nicht aufmuntern. Im Kern ist „Black Earth“ jedoch Hintergrundmusik. Sie bleibt zu sehr in den Sound als Selbstzweck verliebt und bietet durch ihre Offenheit bis hin zu Beliebigkeit natürlich einen breiten Interpretationsspielraum.

Wie breit der ist, demonstriert die Band auf ihrer Website allerbestens: Der in teils haarsträubendem Deutsch verfaßte Text zu „Black Earth“ ist reine Vermarktungslyrik. Da ist die Rede von der „dunklen Seite der Popkultur“, von „doomigsten Tiefen“, dem „dichtesten Parkplatz am Fegefeuer“, der „Reise in die Finsternis“ - alles Quatsch! Der wahre Kern dieses Promotiontextes steckt in dem Satz „Bohren werfen den Zuhoerer auf den Schrecken der eigenen Vorstellungskraft zurueck.“ Das ist es: Man denkt sich die Finsternis selbst zur Musik (spätestens dann, wenn man Mark Sikoras Videoclip zu „Midnight Black Earth“ gesehen hat). Tut man das nicht, ist es auch gut.

Und was bleibt dann? Ganz einfach: Routiniert komponierte, arrangierte und eingespielte Musik ohne Innovationskraft oder höheren Anspruch. Einfach ein dichter Klanghintergrund, eben die Independent-Variante von Fahrstuhlmusik. Die Harmonik ist traditionell, Melodik nur begrenzt vorhanden, auch der Sound als solcher ist alles andere als neu - Vangelis Papathanassiou hat bereits 1973 in seinem Soundtrack zu „L‘apocalypse des animaux“ streckenweise exakt diese Instrumentierung verwendet. Bleibt das Tempo, das ist eben langsam.

Nun ja. Ich hör‘s trotzdem ganz gerne ...

Der Vollständigkeit halber die Tracklist (obwohl sie nicht wirklich hilfreich ist:
  • 1. Midnight Black Earth 8'45
  • 2. Crimson Ways 6'39
  • 3. Maximum Black 7'38
  • 4. Vigilante Crusade 7'30
  • 5. Destroying Angels 7'10
  • 6. Grave Wisdom 6'32
  • 7. Constant Fear 6'27
  • 8. Skeletal Remains 7'58
  • 9. The Art of Coffins 12'04
Und warum nutzt die Tracklist wenig? Ganz einfach: Man hätte auch die Pausen weglassen und die Tracks namenlos von 1-9 durchnumerieren können (so wie es die Band bei einem früheren Album sinnvollerweise bereits einmal getan hat). Alles ist eins, die Unterschiede beschränken sich auf wenige Nuancen. Anhand kurzer Hörproben die einzelnen Stücke auf der CD zu unterscheiden, das wäre mal eine (wenn nicht spannende, so doch sehr schwierige) Aufgabe für die "Wetten das?"-Show ...