Der Pausenclown als Philosoph


Die Truman Show



Eigentlich ist Jim Carrey eine echte Zumutung für die menschliche Geduld. Das konnte er nicht nur in Filmen mit bezeichnenden Titeln wie „Die Nervensäge“ oder „Der Dummschwätzer“ beweisen, sondern auch durch Auftritte als „Riddler“ in „Batman Forever“ oder als grüngesichtiger Wirbelwind im Turbo-Klamauk „Die Maske“.

Und eigentlich hat sich der Regisseur Peter Weir vom düsteren Atmosphärenkino a la „Picknick am Valentinstag“ fortentwickelt - hin zu hollywoodtypischen Kassenschlagern („Der einzige Zeuge“, „Fearless“, „Green Card“ etc.). Immerhin stellenweise noch mit gewissem Tiefgang.

In der „Truman Show“ bleiben sich beide treu und bieten doch etwas ganz Neues. Keine Satire oder Komödie, wie von der Produktionsfirma und vom Verleih werbewirksam behauptet, sondern eine beklemmende Story, die innerste Existenzfragen berührt.


Worum geht‘s?


Truman Burbank (Jim Carrey) lebt in Seahaven, einer bonbonbunten Zuckerwatte-Idylle. Er ist bei Kollegen, Freunden und Nachbarn beliebt, als Versicherungsverkäufer erfolgreich, glücklich verheiratet, fährt einen Mittelklasse-Wagen, wohnt in einem Mittelklasse-Haus. Truman Burbank ist der typische amerikanische Kleinstadtbewohner. Und er ist glücklich.

Zumindest so lange, bis seine Realität Risse bekommt. Dabei geht es nicht um kleine Veränderungen oder Probleme innerhalb seiner gewohnten Umgebung, sondern um die Realität selbst. Ist die Welt, die Truman Burbank erlebt, auch die Welt, wie sie tatsächlich ist? Merkwürdige Vorkommnisse lassen ihn immer stärker daran zweifeln.

In seinem Autoradio hört er eines Tages, wie über ihn gesprochen wird, wie seine Position an unbekannte Empfänger durchgegeben wird. Auf der Straße glaubt er seinen vor Jahren ertrunkenen Vater in einem Obdachlosen wiederzuerkennen. In einem Gebäude nahe seinem Arbeitsplatz sieht er durch eine offene Fahrstuhl-Rückwand die Produktionszentrale eines Filmteams. Derlei Vorkommnisse häufen sich, und Trumans Aufmerksamkeit für seine Umwelt wächst.

Doch für alles gibt es vordergründige Erklärungen, die schnell, allzu schnell geliefert werden. Truman Burbank verdrängt seine Zweifel eine Weile und wird darin von seiner Frau und seinem besten Freund bestärkt. Scheinbar erfolgreich.

Doch im Innersten ist der Zweifel schon lange gesät. In einer Rückblende erfahren wir, daß während seiner Studentenzeit eine Mitstudentin bereits versucht hat, ihn auf die Künstlichkeit seiner Welt hinzuweisen. Sie wird unerhofft aus dem Verkehr gezogen, so wie alles von Truman ferngehalten wird, was ihn aus der vorgezeichneten Bahn werfen könnte.

Auf die Dauer ist das vergeblich, und Truman kommt nach und nach hinter die Wahrheit. Dabei ist ihm der Zuschauer meist mehrere Schritte voraus. Truman Burbank ist in Wirklichkeit der Star einer täglichen 24-Stunden-Show, die rund um den Globus gesendet wird. Im Fernsehen können Menschen in aller Welt seinen Alltag mitverfolgen. Alle außer ihm selbst sind in Trumans Welt Schauspieler. Seine Welt ist eine Kulisse. Er wurde als Baby von einer Produktionsgesellschaft adoptiert und spielt seitdem die Hauptrolle in einer endlosen Reality-Serie.

Doch Truman entwickelt ein eigenes Leben im Scheinleben. Er möchte wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Dabei fordert er das Produktionsteam aufs Äußerste. Fluchtversuche werden mit scheinplausiblen Wendungen und Erklärungen zunächst erfolgreich verhindert - aber das bestärkt Truman nur in seinem Verdacht. Seine Frau (Laura Linney) fällt im wahrste Sinne des Wortes aus der Rolle. Und schließlich findet er die Wahrheit heraus und zugleich den Weg aus der Truman Show: eine Tür im blauen Kulissenhimmel mit der nüchternen Aufschrift „Exit“. Und entthront dabei seinen „Schöpfer“, den Regisseur und Produzenten „Christof“ (Ed Harris - „The Rock“, Apollo 13“, „Absolute Power“, „Stepmom“).


Exkurs: Nichts Neues


Die Frage nach dem eigentlichen Charakter der Realität ist nicht neu. Sie wurde bereits in Platons Höhlengleichnis beleuchtet und immer wieder in der Philosophie ebenso wie in der Literatur aufgegriffen. Im Zuammenhang mit der „Truman Show“ eins der lesenswertesten Bücher zu dem Thema ist meiner Ansicht nach „Time Out of Joint“ von Philip K. Dick. Der meisterhafte SF-Autor ist durch die Adaptionen seiner Erzählungen „Do Androids Dream of Electric Sheep“ (verfilmt als „Blade Runner“) oder „We Can Remember it for You Wholesale“ (verfilmt als „Total Recall“) einem größeren Publikum bekannt geworden.

In „Time Out of Joint“ beschreibt er das Leben des Durchschnittsbürgers Reagle Gumm, der in einer 50er-Jahre-Kleinstadtidylle lebt. Sein Leben verdient er mit Preisgeldern, die er für das Lösen eines täglich erscheinenden Zeitungsrätsels erhält. Eines Tages bekommt seine Realität Risse. Er stellt Unstimmigkeiten im Verhalten seiner Mitbürger fest, versucht zu fliehen, wird von scheinbar zufälligen Geschehnissen davon abgehalten. Im Radio hört er seltsame Durchsagen. Schließlich stellt sich heraus, daß seine Umgebung Kulisse ist, seine Familie und Bekannten Schauspieler sind, alles von einer mächtigen Organisation gesteuert und überwacht wird ... Na? Klingelt‘s da?

Fest steht: Peter Weir und sein Drehbuchautor Andrew Niccol kannten ihren Philip Dick. Und sie waren genauso wie er fasziniert von der Frage, was wirklich ist und was nicht.


Der Mensch im Zentrum


Philip Dick - und das paßt hier sehr schön - war zeitlebens vom erkenntnistheoretischen Ansatz des Solipsismus fasziniert. Der Solipsismus geht davon aus, daß nichts real ist außer dem eigenen Ich mit seinen Bewußtseinsinhalten. Daß die gesamte Außenwelt erfunden ist, mitsamt jedem fremden Bewußtsein. Daß sie nur aus dem konstruiert ist, was die Denkprozesse des Ich und die scheinbaren Wahrnehmungen aus scheinbaren Sinneseindrücke liefern.

Der Solipsismus gilt als unbeweisbare, unlogische, ja unsinnige Theorie. Doch Elemente davon finden sich in der Truman Show zuhauf. Truman Burbank ist der einzige echte Mensch inmitten einer gespielten Welt. Diese Welt, die eigentlich nicht existiert, wird in seinem Bewußtsein zur Realität. Sobald Truman nicht mehr an sie glaubt, hat sie ihren Sinn und ihren Zusammenhalt verloren.

Jedoch findet der Rekurs auf diese Theorie im Film auch seine deutlichen Grenzen: Die Außenwelt existiert tatsächlich, lediglich ihre Bedeutung für Truman ist Fiktion. (Dank an g.michael für den berechtigten Einwand). Wer das solipsistische Weltbild in konsequenterer Anwendung sehen will, dem sei Philip Dicks Roman "Ubik" empfohlen.

Im Film steckt auch eine schöne Parabel für den Begriff der Aufklärung. Bei Kant heißt es: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ Truman Burbank ist unmündig, sein Leben wird von außen gesteuert. Und mit jedem Hinweis auf die Künstlichkeit seiner Existenz wächst seine Schuld an dieser Unmündigkeit. Durch die Flucht entkommt er dieser Welt. Er schlägt im Zwiegespräch mit seinem „Schöpfer“ Christoph dessen verführerisches Angebot aus, in der Unmündigkeit zu verharren, er überlebt dessen Versuch, ihn zu töten. Christof verliert die Herrschaft über Truman Burbank, der Schöpfer ist entthront, Gott ist tot. Womit wir unverhofft bei Nietzsche gelandet wären.


Der Film als Film


Abseits der philosophischen Implikationen ist die „Truman Show“ auch perfektes Kino. Weite Teile des Films zeigen die „Truman Show“ so, wie die imaginären Fernsehzuschauer sie auch sehen würden. Mit dem Zerbrechen der Realität bricht auch für den Zuschauer die Illusion auf. Dabei ist er, wie schon erwähnt, Truman einen oder mehrere Schritte voraus, wird aber ebenso wie er nach und nach erst in die Hintergründe der Sache eingeweiht. Erst zum Schluß sind Truman und seine TV-Fans dem Filmzuschauer voraus. Truman durch seine überraschend souveräne Willensentscheidung, die TV-Fans durch ihren Jubel über Trumans Befreiung.

Das war für mich übrigens ein besonders starkes Aha-Erlebnis: Daß die Fans der Truman Show nicht etwa enttäuscht vom Ende ihrer geliebten Serie waren, sondern daß sie mit Truman seiner Befreiung entgegenfieberten. Ein deutliches Symbol dieser Solidarität war über weite Strecken die Figur der Lauren bzw. Sylvia (Natascha McElhone), in die sich Truman verliebt hatte und die in der Außenwelt gegen seine Gefangenschaft agitierte. Doch letztlich stellt sich heraus, daß praktisch alle Welt so fühlte - nicht nur der Filmzuschauer in der Realität, sondern ebenso die TV-Zuschauer im Film.

Die Besetzung der Truman Show ist hervorragend. Gerade durch seine Nervensägen-Qualitäten kann Jim Carrey den amerikanischen Kleinstadttraum glaubwürdig verkörpern. Sein morgendlicher Gruß an die Nachbarn ("Guten Morgen - und falls wir uns nicht mehr sehen - guten Nachmittag, guten Abend und gute Nacht!") wird von einem derart irren, aufgesetzen Grinsen begleitet, daß uns sofort klar wird: Dieser Mann ist kompatibel zu allen Trash-Serien dieser Fernsehwelt. Und daß genau dieser Gruß am Ende zum Schlüsselsatz wird, in völlig neuer, doppelbödiger Intonation, zeigt Carreys Fähigkeit, die Entwicklung eines Individuums mit einfachen Mitteln zu demonstrieren. Der Truman vom Anfang ist nicht mehr der Truman der Schlußsequenz, und Carreys Wandlungsfähigkeit ist es zu verdanken, daß das nicht als unglaubwürdiger Bruch empfunden wird.

Ed Harris als „Christof“ ist ebenso unschlagbar. Der Inbegriff des besessenen Genies, dabei weder übertrieben verrückt noch das klischeetypische Monstrum. Eher ein Künstler, der sein Metier perfekt beherrscht und zum Schluß von der Tatsache überrascht wird, daß seine Sicht der Dinge nicht von jedermann geteilt wird.

Auch Laura Linney als Meryl Burbank überzeugt gleicheraßen wie die übrigen Nebendarsteller. Es gelingt ihnen, sich als prototypische Serienfiguren zu päsentieren. Andersrum: Sie spielen auf überzeugende Weise Schauspieler, deren Aufgabe es ist, auf überzeugende Weise echte Menschen zu spielen. Eigentlich ganz einfach. Und daß es (mit wenigen Ausnahmen) so einfach wirkt, ist schon eine Leistung.


Meckerei


Natürlich gibt es auch den einen oder anderen Kritikpunkt. Die Figur der Sylvia ist meiner Ansicht nach zu blaß gezeichnet. Sie ist zwar letztlich der Auslöser für Trumans Ausbrauch aus seiner Welt, ihre weiteren Auftritte scheinen aber seltsam unmotiviert. Sie wirken so, als sei hier ein geplanter Handlungsstrang nachträglich eliminiert oder auf ein Minimum reduziert worden.

Auch die Figur der Meryl ist von der Anlage her nicht ganz logisch. Ein hysterisches Huhn, das bei der ersten ernsthaften Bedrohung völlig aus dem Konzept gerät, paßt nicht zu den Anforderungen, die eine jahrelange Scheinexistenz an der Seite des ahnungslosen Truman eigentlich stellen sollte. Von Laura Linney zwar hervorragend gespielt, vom Drehbuch her aber schwach angelegt.

Kleinere Ungereimtheiten kommen hinzu. So sind z. B. in der Endphase des Films die Führer der im Hafen liegenden Schiffe angeblich nicht in der Lage, Truman zu verfolgen, da sie Schauspieler sind und keine Schiffe führen können. Da Truman seit dem Tod seines Vaters keine Schiffe mehr betritt, sich aber andersherum doch sehr wundern dürfte, wenn nie ein Wasserfahrzeug den Anlegesteg verläßt, müßte es sich eigentlich genau andersherum verhalten: Schauspieler würden dort nicht gebraucht, sondern echte Bootsbesatzungen.

Aber das sind Kleinigkeiten, die zwar hin und wieder aufstoßen, die Wirkung des Films insgesamt jedoch nicht beeinträchtigen.


Fazit


Die „Truman Show“ ist aus meiner Sicht keine Satire, sondern ein mit populären Stilmitteln elegant dargebotener philosophischer Grundkurs. Die 99 Minuten auf meiner DVD (Kinofassung 103 Minuten) haben mich gefesselt und bestens unterhalten. Nicht weil der Film zeigt, wie Medien funktionieren. Denn das tut er wirklich nur holzschnittartig und reichlich klischeehaft. Sondern weil er zeigt, wie zerbrechlich ein Weltbild sein kann: Die Realität ist nicht zwingend real.

Und weil der Film zeigt, daß Fremdbestimmung kein Schicksal ist, sondern daß man persönlich verantwortlich für das Maß der Selbstbestimmung ist.