Werkstattbesuch


David Foster Wallace - Kurze Interviews mit fiesen Männern



Das ist es wohl: ein Blick in die Schreibwerkstatt des Autors. In diesem Band mit sehr unterschiedlichen Texten wird deutlich, was David Foster Wallace kann und wie er arbeitet. Die Zusammenstellung ist offenbar ohne auch nur einen flüchtigen Blick auf Lesererwartungen und kommerzielle Rücksichten erfolgt.

Vielleicht scheint das aber auch nur so, und Wallace weiß in Wirklichkeit ganz genau, was man von ihm erwartet. Sei's drum - hier gibt es manchen Schatz zu entdecken. Besonders gut haben mir beispielsweise die titelgebenden, mal kurzen, mal langen fiktiven Interviews gefallen, in denen sich ganz unterschiedliche anonyme Personen als Nervensägen, Langeweiler oder Charakterschweine entlarven - ganz allein durch das, was sie sagen. Dabei wird sehr schnell eines deutlich: Wallace ist ein begnadeter Dialogautor, dem es wie kaum einem anderen gelingt, Personen durch direkte Rede zu charakterisieren.

Manchmal nervt der Autor selbst, beispielsweise in seinem Text über eine "depressive Person". Mit konsequenter Bosheit und durch und durch kalkulierten Längen erweckt er darin einen psychisch angeschlagenen Menschen so treffsicher zum Leben, daß man als Leser schließlich eine deutliche Aversion gegen diesen Menschen spürt wider die bessere Einsicht, daß diese Person eigentlich hilfebedürftig ist. Moralisch konsequente Menschen mögen das dem Autor übelnehmen, verstehen könnte ich das.

Wallace stört sich weder an Geschmacks- noch an Intimitätsgrenzen (gutes Beispiel: "Adult World") und schert sich auch nicht um einen literarisch hohen Ton, obwohl er ihn bei bedarf mit Bravour handhabt. Er macht einfach, was er will und was er kann, und das ist eine Menge. Vielleicht könnte man ihm ankreiden, daß er (wie schon in „Der Besen im System“) manches Stilmittel nur deshalb anwendet, weil er es mit Leichtigkeit beherrscht. Aber wer würde das im Ernst wollen und sich damit um einen feinen, hinterhältigen Lesegenuß bringen?

Bei der Gelegenheit ist übrigens auch die erstklassige Leistung der Übersetzer zu würdigen. Und das gilt nicht nur für den als kongenialen Wallace-Übersetzer schon vertrauten Markus Ingendaay. Kurz und gut: An dieser Textsammlung hat man einiges zu kauen, man wird nicht alles mögen und über manches verärgert sein, aber das Buch ist dennoch durch und durch empfehlenswert.