Oh Himmel, was für ein haarsträubender Mist!


Gardner McKay - Toyer



Ein Serienmörder, der eigentlich kein Mörder ist. Eine Ärztin, die jede Distanz zu ihren Patienten verliert. Eine Zeitungsjournalistin, die hopplahopp von der grauen Provinzmaus zur Starschreiberin und Geliebten des Chefredakteurs mutiert. Schauspieler, die von Luft und Liebe leben. Eine krude Ansammlung von abgedrehtem Romanpersonal, das schon erahnen läßt, wie verblasen die gesamte Story sich entwickeln wird. Doch von vorn:


Der Plot


In Los Angeles treibt ein Serientäter sein Unwesen. Weil er mit einem seiner ersten Opfer vor der Tat eine Partie Backgammon spielte, wird er von den Zeitungen „Toyer“ genannt - der Spieler. Er mordet nicht, sondern operiert. Dazu benutzt er eine Methode, die im Buch mal Kordotomie, mal Lobotomie genannt wird. Beides dürfte letztlich Unsinn sein. Wie auch immer: Toyer versetzt seine Opfer durch die en passant durchgeführte Blitzoperation ins Koma. Soweit die eigentlich ganz pfiffige Idee.


Das Personal


Toyer hat natürlich Gegenspieler. Da wäre einmal die Ärztin Maude Garance, eine hochgebildete Spezialistin, die mehrere Facharzttitel vorzuweisen hat und an einer Privatklinik als „Physiaterin“ Dienst tut. Physiatrie ist im Deutschen der Fachbegriff für Naturheilkunde - in der englischen Sprache mag er etwas anders bedeuten. Der Übersetzer hat‘s nicht gewußt, also bleibt auch dem geneigten Leser die eigentliche Natur dieser Profession im Verborgenen. Dr. Garance hat im Buch anscheinend kaum etwas zu tun, als bei jeder Einlieferung eines neuen Opfers in die Klinik zu eilen und die jungen Damen einem Test zu unterziehen, der die Tiefe des Komas auslotet. Dabei wird sie von Schwester Chloe unterstützt, die als Person recht blaß bleibt, aber letztlich die typische langgediente Patentnudel zu sein scheint, die den Laden auch mühelos allein schmeißen könnte.

Die zweite Gegenspielerin ist Sara Smith. Sie ist Reporterin beim Los Angeles Herald und schreibt offenbar nur über Toyer. Sie bleibt klein und grau und unscheinbar, bis ein Trittbrettfahrer (ein ordinärer Vergewaltiger) aktiv wird und Toyer zur Kontaktaufnahme zwingt. Das Serientätermonster schreibt in bester Egotrip-Manier an die Reporterin, um klarzustellen, daß diese Tat nicht auf sein Konto geht. Der Brief wird abgedruckt, und der „Herald“ schraubt seine Auflage prompt ins Unermeßliche.

Und da ist natürlich die Staatsgewalt. Die hat keine Lust, Toyer zu verfolgen, weil er ja nur Körperverletzung begeht und keinen Mord. Und Morde gibt es jeden Tag zuhauf in L.A., da hat man für Kinkerlitzchen keine Zeit. Sicher, sicher: Banküberfälle, Trickbetrügereien und Falschparken werden in L.A. vermutlich auch nicht verfolgt, weil ja schon alle Mann mordeshalber so beschäftigt sind. Besonders hervor tut sich der Bezirksstaatsanwalt in seiner Verweigerungshaltung. Er will ja lediglich wiedergewählt werden und kann deshalb beim besten Willen keinen Serientäter verfolgen, der in der Presse schon mit 9 Opfern für großes Tamtam sorgte.

Wie es der Zufall will, gesellt sich zum Damenduo noch Telen (nicht Helen!) Gacey, die sich als Schauspielschülerin und Sara Smiths entfernte Cousine in die Story schleicht. Und Telen kennt Toyer, ohne es zu wissen, wird seine Freundin, ohne es zu wissen - sie weiß eigentlich gar nichts und stolpert von Szene zu Szene, um eine Verbindung zwischen den Rächerinnen der Entleibten und dem Unhold herzustellen. Und um ein wenige Schauspielbusiness-Lokalkolorit ins Spiel zu bringen (immerhin ist der Handlungsort Los Angeles).

Nebenbei kommt Maudes Chef und späterer Geliebter Dr. Tedescant ins Spiel. Natürlich auch Saras Chef und späterer Geliebter Jim O‘Land. Und Telens Schauspielkumpanen und spätere Geliebten Billy und Peter. Und noch so manche blasse Figur obendrein.


Die Handlung


Die Fäden des Plots beginnen sich zu entspinnen. Nach der erwähnten brieflichen Wortmeldung des Täters entspinnt sich eine allerliebste Korrespondenz zwischen Sara und Toyer. Toyers Briefe werden im Herald abgedruckt, Sara kommentiert sie unglaublich altklug und im Brustton der entrüsteten Unschuld. Nach einem traumatischen Überfall durch den Täter kann Sara Maude dazu überreden, Toyer über den Herald zu therapieren. Das tut sie dann auch mit der betulichen Attitüde einer Kummerkastentante und einem so begrenzten medizinisch-psychiatrischen Gehalt, daß es Gott erbarmt. Und fürderhin arbeitet sie mit Sara Hand in Hand, obwohl sie sie zu Beginn nicht ausstehen konnte und erst durch eine vollkommen unglaubwürdige motivationstechnische Kapriole des Autors zu ihrer dicksten Freundin werden mußte.

Nebenbei fängt Maude mit Toyer ein Katz-und-Maus-Spiel an, ein Treffen wird vereinbart, bei dem Maude den Bösewicht umbringen will, dann aber einen völlig Unbeteiligten beinahe ins Jenseits befördert, am Tatort ihre Waffe verliert und fortan erpreßbar wird. Das hält sie nicht davon ab, Toyer via Zeitung auf kindliche Weise zu provozieren.

Telen ist irgendwann mit dem Täter liiert, ohne es zu wissen, wundert sich auch nicht großartig, als der plötzlich vom verklemmten Kuschelpartner zum Sex-Maniac mutiert.

Häppchenweise wird dann auch Toyers Vorgeschichte entwickelt: Nachdem seine frisch Angetraute in Folge einer brutalen Vergewaltigung ins Koma fiel, ist der Gute völlig traumatisiert, wandert in die Klappse, wird nach Monaten als geheilt entlassen, zieht mit der Komatösen und ihrer Mutter nach L.A. und gibt fortan dort den frauenjagenden Finsterling.

Maude, Sara und Telen gelingt es schließlich, den Täter von verschiedenen Seiten einzukreisen und in einem elend lange und zäh sich hinziehenden Finale zur Strecke zu bringen. Puh!

Wem meine Schilderung bis hierher wirr, unzusammenhängend und kaum nachvollziehbar erscheint, der hat den Nagel auf den Kopf getroffen: Die Handlung ist wirr, unzusammenhängend und kaum nachvollziehbar. Dabei gewöhnungsbedürftig durchgehend in der Gegenwartsform gehalten, von Abschnitt zu Abschnitt aus wechselnden Perspektiven geschrieben (ambitioniert, aber nicht gekonnt) und auch noch erbärmlich schlecht übersetzt.


Übel, übel ...


Meine Kritik an Gardner McKays Roman könnte Bände füllen - die wären jedoch vermutlich noch mühsamer zu lesen als das Buch selbst. Deshalb hier nur eine kurze Liste von Mängeln.

Das Buch wimmelt vor toten Motiven, die alle das Zeug zum spannenden Handlungsstrang hätten, aber auch recht schnell wieder fallengelassen werden:
- Maudes Beinahe-Mord an einem Unbeteiligten inspiriert Toyer zu zwei oder drei Denunziationen, die jedoch völlig ohne Folgen bleiben.
- Maudes reichlich psychotische Auftritte beim stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt treiben ihn dazu, sie von der Chefin der Privatklinik suspendieren zu lassen. Trotzdem wird Maude zu jedem neuen Fall gerufen und spaziert fröhlich in der Klinik ein und aus.
- Ihre Ferntherapieversuche per Zeitung bringen die Ärztekammer dazu, ihr die Entziehung der Approbation anzudrohen. Sie schreibt weiter für den Herald, doch die Ärztekammer spielt fortan keine Rolle mehr im Buch.
- Nach langem Ringen beauftragt der Staatsanwalt einen Kriminalpolizisten mit der Verfolgung des Falls. Er wird einmal kurz vorgestellt, später noch zwei- oder dreimal erwähnt, spielt aber ansonsten keine Rolle mehr.

Die Charakterisierung und Motivation der Romanfiguren bleibt blaß, unglaubwürdig und lebt von Versatzstücken.
- Maude soll die tüchtige professionelle Ärztin sein, läuft aber durchs Leben wie eine besserwisserische dumme Gans, die von Berufsethos noch nie gehört zu haben scheint.
- Jim O‘Land soll den typischen Iren geben. Nun ja, er trinkt irischen Whiskey; damit ist er aus Sicht des Autors hinreichend charakterisiert.
- Sara soll eine engagierte, versierte Reporterin spielen. Sie ist aber lediglich ein naives Häschen, dem der Kollege Zufall einen Erfolg nach dem anderen spendiert.
- Toyer ist das eiskalte Monster, intelligent, stark, geschickt und unmenschlich böse. Dafür läßt er sich zum Schluß erschreckend leicht in die Pfanne hauen und flennt zum Gotterbarmen daher, wenn Maude ihn leicht am Arm verletzt.
- Sara wird plötzlich von ethischen Bedenken gegen die öffentliche Korrespondenz geplagt. Ein paar Seiten weiter sind sie wie fortgeblasen.

Dazu kommen Ungereimtheiten, unglaubwürdige Handlungsstränge und schlicht blühender Unsinn.
- Angeblich soll Toyer das Lobotomieren oder Kordotomieren als Präparationsgehilfe in der Neurologie gelernt haben, indem er sich Hirnpräparate etwas genauer ansah. Danach führt er mehrfach eine doch recht anspruchsvolle Hirnoperation im trauten Heim der überfallenen Damen freihändig und ohne Sichtkontrolle aus. Und jedesmal erfolgreich, ohne Infektionen und unbeabsichtigte Verletzungen der Opfer.
- Die zitierten Zeitungstexte sind schreiend blöd und würden im Tonfall oder im Informationsgehalt selbst den Qualitätskriterien der „Bäckerblume“ nicht genügen, geschweige denn jemals in einer Tageszeitung mit Millionenauflage gedruckt werden. Ich würde sie jedem meiner Volontäre um die Ohren hauen.
- Maude Garances Ferndiagnosen sind von medizinischer Kenntnis völlig unbeleckt und von ergreifender Banalität. Hier hat sich der Autor offenbar jeglichen Rechercheaufwand gespart.
- Wenn der Autor eine Handleserin auftreten läßt, sollte er sie vielleicht auch aus der Hand lesen und nicht nur in eine Kristallkugel schauen lassen.
- Maude Garance ist felsenfest davon überzeugt, daß Toyer nie mit seinen Opfern geschlafen hat, und sie hat das angeblich medizinisch erwiesen. Später stellt sich dann heraus, daß Toyer seine Opfer ins Koma versetzt, damit sie ihm stellvertretend für seine (bis zur nicht vollzogenen Ehe) jungfräuliche Angetraute zu Diensten sind. Ja, was denn nun?
- Toyers Briefe werden munter abgedruckt, ohne daß die Polizei einschreitet oder auch nur den Versuch macht, sie als Beweismaterial zu beschlagnahmen. Toyer kann sogar mit Jim O‘Land ein Buchprojekt einfädeln; dazu wird dann eigens ein Verlagskonsortium gegründet, ohne daß die Polizei davon erfährt oder dagegen einschreitet.
- Toyers Tatwerkzeug, ein Trokar, ist für die geschilderten Taten völlig ungeeignet. Es ist ein Instrument, das zur Herstellung eine Dränagekanals gedacht ist. Die Durchtrennung der Stammhirnverbindung ist damit nicht zu leisten, ohne die Patienten lebensbedrohlich (vermutlich tödlich) zu verletzen.

Und so weiter und so fort ...


Fazit


Alles in allem ein total verschmockter Schinken, der nicht enden will, bei dem man streckenweise nicht weiß, ob man über die Kenntnislosigkeit und das mangelnde Talent des Autors lachen oder weinen soll. Ein Buch, das bestens geeignet ist, als Unterlage einen wackelnden Tisch zu stabilisieren, zu anderem aber nicht taugt (und dafür ist es zu teuer). Man kann davor nur warnen.

Wer möchte, kann sich natürlich auch mit diesem Werk herumschlagen, doch es braucht eine gewisse Ironman-Mentalität dazu.

Bestens geeignet wäre es allerdings für eine Verfilmung (auf die der Autor erkennbar geschielt hat). Bei der üblichen Hollywood-Manier, eine Literaturvorlage auf ein Drittel zusammenzustreichen, Handlungsstränge zu entfernen und eine Story auf stringente Erzählweise zu trimmen, käme wahrscheinlich das heraus, was der Stoff eigentlich als Potential in sich trägt: ein spannender, geradeaus erzählter Thriller, der irgendwo zwischen „Hannibal“ und „8 mm“ angesiedelt sein könnte. Für die Romanfassung hat der Autor diese Chance vertan.


Nachbemerkung


Warum soviel Text zu einem Buch, das so schlecht ist? Ganz einfach: ich habe mich durch die mehr als 500 Seiten dicke Schwarte gebissen (mit der Zeit eher aus Ehrgeiz als aus Interesse), mich gewaltig darüber geärgert - also mußte ich jetzt Luft ablassen.

Und außerdem ist es eine Mission - wenn ich nur einen Leser davor bewahren kann, während der Lektüre ins Koma zu fallen, hat sich die Arbeit schon gelohnt ;-)