Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs


Heinz Strunk - Fleisch ist mein Gemüse



Heinz Strunk alias Jürgen Dose alias Heinzer - schon die Namen sind Programm. Eine Mischung aus heimatverbundenem Trash, abgefahrener Avantgarde und derbem Humor kennzeichnet den Weg des 1962 geborenen und unter dem bürgerlichen Namen Mathias Halfpape aufgewachsenen Entertainers.

Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde er als Kopf des schon legendären „Studio Braun“ (das ähnliche Aktivitäten entwickelte wie Paul Panzer, aber für Menschen über 14, oder Heino Jäger mit Biß und Witz). Ebenfalls bekannt dürfte dem einen oder anderen Strunks Sendung "Fleischmann TV" bei Viva sein - ich kenne sie nicht, da ich Viva möglichst meide.

Das spielt aber auch alles keine Rolle, denn in „Fleisch ist mein Gemüse“ geht es um Strunks späte Jugend an der Hamburger Peripherie. Nach Heinz Strunks eigener Aussage besteht das Buch zu 90% aus autobiographischem Material - wären es 100%, hätte er nach meinem Eindruck vor der Niederschrift mit guten Gründen den Freitod wählen dürfen.


Von Mucke zu Mucke


Doch der Reihe nach: Heinz wächst in einem kleinen Siedlungshaus in Harburg auf. Nach seiner Schilderung ist Harburg eine Art kleinstbürgerliche Vorhölle: Trotz der Nähe zu Hamburg weitab vom Schuß zwischen Buxtehude und Winsen an der Luhe gelegen, bevölkert von Freaks und Anstaltsanwärtern. Ich kann das mangels Ortskenntnis nicht nachprüfen, für Heinz ist es grausige Realität.

Nach dem Abitur hängt Heinz ohne Perspektive herum. Durch Zufall kommt er mit der Provinz-Tanzkapelle „Tiffanys“ in Berührung und wird bald festes Mitglied der Truppe. Denn das, was er wirklich beherrscht, sind Saxophon und Querflöte.

Der größte Teil des Buchs schildert Heinz' Karriere als Tanzmucker bei „Tiffanys“. Und das ist wirklich hart verdientes Brot: Verstaubte Oldies und abgeschmackteste Schlager abnudeln, bei Hochzeiten, Richtfesten oder Landjugendfeiern in Lüneburg, Seeve oder Geesthacht, in vergreisten Dörfern und abgetakelten Landhotels. Da wird nicht musiziert, sondern abgeliefert („Habt heute geil abgeliefert, Jungs ...“). Das Repertoire wiederholt sich immer und immer wieder, das Publikum rast vor Begeisterung bei „An der Nordseeküste“ und kommt in Schwung bei halbdebilen Tanzspielchen.

Das Gewagteste, was die Fünfertruppe in pinkfarbenen Glitzersakkos oder im weißen Smoking präsentiert, ist ein Westernhagen-Medley. Ansonsten wird lieblos und oft ohne musikalische Begabung heruntergespielt, was 20 Jahre zuvor in der ZDF-Hitparade lief, was nahezu GEMA-frei an internationalem Pop verfügbar ist oder was zum unterirdisch belanglosen Bestand an Heimatklängen zählt.

Geplagt von cholerischen Wirten und verlogenen Veranstaltern, entkräftet vom Auf- und Abbau der zentnerschweren Anlage und mit wachsendem Haß auf die Tanzmusik sieht Heinz als einzigen Lichtblick die nach der Mucke bar ausgezahlte Gage. Aber auch dabei steht immer der Verdacht im Raum, daß der windige Bandleiter „Gurki“ seine Leute nach Strich und Faden übers Ohr haut.


Umzingelt von Biestern


Zwischen den Auftritten bzw. „Mucken“ kämpft Heinz mit seinem Privatleben. Die dem Wahn zuneigende und zunehmend gebrechliche Mutter gehört ebenso dazu wie die in Automatenhallen erlebte latente Spielsucht, der ungeliebte Zweitjob als Musiklehrer - und natürlich die „Biester“. Die Biester, das sind die Frauen, die Heinz schon durch ihre bloße Anwesenheit quälen. Die Frauen sind allgegenwärtig, aber dennoch unerreichbar, denn Heinz (und nicht nur er) fühlt sich gehemmt, verklemmt und häßlich. Seit der Pubertät von einer scheinbar unheilbaren Mega-Akne geplagt, ist er auch nicht gerade das Ziel weiblicher Anbandelungsversuche. Und so beschränkt sich sein Sexualleben auf das, was er ebenso unschön wie bildkräftig mit dem Begriff „Abmelken“ beschreibt.

Seinen Kollegen geht es größtenteils ähnlich. Es sind seltsam verkrachte und menschenscheue Existenzen, die sich an minimalistische Lebensziele klammern, um nicht völlig haltlos zu werden. Ob es nun die überraschungsfreie Existenz als Familienvater im mittleren Beamtendienst ist oder der Erwerb eines abgelegenen Hauses als biesterfreier Rückzugsraum - den Protagonisten fehlt jede Phantasie für einen individuellen Lebensentwurf. Vielleicht fehlt auch der Mut.

Die Beziehungsarmut und das gelebte Mittelmaß werden hier auf erschreckende Weise dargelegt - man weiß nicht, ob man entsetzt oder traurig sein soll, wenn man das liest. Oder beides.


Die Komik im Schrecklichen


Letztlich wird man bei der Lektüre aber immer wieder laut herauslachen. Und das liegt an Heinz Strunks Erzählweise. Bei den deprimierendsten Stellen schafft er es noch, in einem lockeren, distanzierten Ton zu bleiben, der das Grauen dieses abstumpfenden Daseins noch wie einen großartigen Witz erscheinen läßt. Zugleich spart er einfach nichts aus. Wenn man meint, die Schmerzgrenze der Geschmacklosigkeit sei erreicht, setzt er noch eins drauf und läßt keinen Zweifel daran, daß er dabei die Wahrheit und nichts als die Wahrheit berichtet.

Diese übergroße Authentizität, die beim Leser eine Wirkung entfaltet, wie es mit der maßlosesten Übertreibung nicht möglich wäre, lebt auch von den immer wieder leitmotivisch eingestreuten Schlagerstrophen und Liedzeilen. Deutlicher als durch diesen Schund kann man nicht zeigen, welche intellektuelle Dürre im geschilderten Milieu herrscht und wie sehr jemand daran leiden muß, der mit ein wenig Geist gesegnet ist.

Einen schönen Kontrast zum Stumpfsinn bildet die Verschrobenheit der Mitmusikanten. „Der Mensch ist kein Beilagenesser“ und „Fleisch ist mein Gemüse“ sind die markantesten Sätze, mit denen die Protagonisten eine Weltsicht formulieren, die aus der Ebene niederster Lebenserhaltungstriebe ein Recht auf apodiktische Feststellungen und die Bildung absoluter Wahrheiten herleitet. Das sind Männer, die andere Männer mit „Na, Heinzer, wo geiht?“ begrüßen und vermutliche in 30 Jahren ihre Frau „Mutti“ nennen.

Um einen hohen literarischen Ton bemüht sich Strunk erst gar nicht bei diesem Sujet. Viele Passagen klingen unverfälscht umgangssprachlich, kurz und knapp formuliert, wie man einem alten Bekannten den Alltagstratsch erzählen würde. An anderen Stellen scheinen Auswirkungen der Comic-Kultur durch: „laberlaberlaber, rauchirauchi“ - so wird der Ablauf eines Besuchs bei Heinz' Mutter geschildert, sparsam und dennoch prägnant.

Andere Personen werden gerne durch ihre Äußerungen charakterisiert. Den minderbegabten Bandleiter Gurki kann man recht gut einordnen, wenn man eine seiner Ansagen liest: „Swingtime is good time, good time is better time.“ Alles klar, Gurki ist eine Pfeife. Ähnlich geht es dem schleimigen Restaurantbesitzer Georgios alias Schorsch. Ihm sei eine kleine Leseprobe gewidmet:



Den Abend vorher hatte Jens auf einer Silberhochzeit ungefähr zwei Kilo Fleisch verdrückt. Norbert und ich zusammen auch zwei Kilo, plus Beilagen. Jetzt hatten wir Fischappetit, Tintenfischappetit, obwohl der Mensch ja eigentlich nicht im Wasser lebt. Eine halbe Stunde später kam Schorsch krakenartig langsam mit drei Tellern Matschepatsche zurück.

„Einen recht guten Appetit wünsch ich euch. Lasst es euch schmecken, Junkens.“

„Danke, Schorschi.“

Wir starrten auf das Essen, von dem ein eigenartiger Geruch ausging.

„Ich weiß nicht, das riecht jetzt hier aber nicht so gut.“

„Vielleicht muss das so. Das ist die Soße.“

„Ach Quatsch, Calamaries müssen doch nicht stinken.“

„Was weiß ich denn, bin ich Jesus? Ich probier mal.“

Ich schnitt eine kleine Ecke ab und kostete. Wer einmal in verdorbenen Tintenfisch gebissen hat, wird das sein Lebtag nicht vergessen. Nur mit Mühe konnte ich es vermeiden, mich zu übergeben. Schorsch lehnte am Tresen, beobachtete uns und machte einen auf harmlos. Wir winkten ihn heran.

„Was ist los, Junkens? Schmeckt nicht?“

„Hier, probier mal, die Calamares sind total verdorben. Wie kann das denn angehen!?“

Schorschi blickte unschuldig. „Tut mir Leid, aber meine Frau hat gesagt, ist vielleicht nix gut.“




Ein durchaus typischer Auszug. Kleine Bescheißereien hier und da, ein lakonischer Umgangston, stoische Reaktionen auf das Schicksal, die Banalität des Alltags. Alles in allem eine wirklich urkomische Mischung, die selbst die deprimierendsten Momente (an denen das Buch nicht arm ist) mit Humor nehmen läßt.


Mangelhaft


Einen Punkt Abzug gibt es für die Gestaltung des Buches. Der Rowohlt Verlag ist keine bedeutungslose Klitsche. Um so schwerer wiegt es, daß Layout und Typographie des Taschenbuchs grottenschlecht gestaltet sind:

Der Satzspiegel wirkt schlecht proportioniert, der Zeilendurchschuß ist etwas zu knapp bemessen, um lesefreundlich zu wirken. Die Paginierung steht oben (wie originell!) und paßt vom Schriftbild absolut nicht zum Text. Die Kursive, die als Auszeichnungsschrift dient, ist denkbar schlecht gewählt, hebt sich zu wenig von der Grundschrift ab und ist schwer lesbar. Für Überschriften wurde eine erbärmlich häßliche konturierte Schreibschrift gewählt, die der Designer möglicherweise auf einer CD kostenlos zusammen mit einem Mickymaus-Heft abgestaubt hat. Die zur Verdeutlichung der Chronologie neben Hauptüberschriften gesetzte Jahreszahl verschwindet regelmäßig im Bund. Immer mal wieder verderben Umbruchfehler wie Schusterjungen und Hurenkinder die Laune.

Alles in allem ein echtes Armutszeugnis für einen der großen deutschen Belletristik-Verlage. Es wäre höchstens noch denkbar, daß man hier die Form dem Inhalt anpassen wollte und das Satzbild auf Trash getrimmt hat. Der Versuch ist mißlungen. So etwas kann man auch erreichen, ohne daß ein Buch so wirkt, als sei es von einem Schüler mit Word für Windows gesetzt worden.


Fazit


Abgesehen von diesem echten Schönheitsfehler kann ich „Fleisch ist mein Gemüse“ uneingeschränkt empfehlen. Das Buch ist auf eine angenehm gruselige Weise lustig und beschert so manchen Einblick in Abgründe des Alltäglichen, von denen man sich schaudernd abwenden würden - wenn sie nicht so treffend und unterhaltsam geschildert wären. Also: Kaufen, marsch, marsch!