An der Schwelle


Ralf Rothmann – Junges Licht



Es sind nur wenige Wochen im Leben des 12jährigen Julian, die Rothmanns Erzählung schildert. Aber sie gehören zu jener magischen, unscharfen Zeitspanne zwischen Kindheit und Jugend, in der die unheile Welt der Erwachsenen in die Ahnungslosigkeit der Kinder mehr und mehr hineinzuragen beginnt.

Zwischen dem wortkargen Vater, der eigentlich nur mit seiner Arbeit als Bergmann zurechtkommt, der abweisenden Mutter, dem widerwärtigen Vermieter Gorny, einem alten Einsiedler, den Nachbarn, dem Opa, einem handfesten Bestatter, bewegen sich Julian, einige Gleichaltrige und seine jüngere Schwester Sophie in ihren eigenen Freiräumen und Wahrnehmungswelten.

Rothmann hat die Geschichte in den späten 60ern angesiedelt und versteht es ganz wunderbar, mit wenigen Sätzen die Haltung einer seit Jahrzehnten vergangene Gesellschaft wiederzugeben. Das Umfeld der handelnden Personen weiß er ebenfalls mit knappen Mitteln eindringlich zu skizzieren – oft sehr poetisch, meist mehr andeutend als ausführend und doch mit ungeschminktem Naturalismus.

Julian ist in dieser Welt ein Wanderer. Mit der Kindheit noch verbunden durch Sophie, mit der Jugend schon durch Marusha, die Stieftochter des Vermieters. Er tastet sich voran, nimmt kleine und große Katastrophen der Erwachsenen nicht in ihrer vollen Bedeutung wahr, aber sie beeinflussen ihn bereits. Er steht an einer Schwelle - das ist ihm noch nicht ganz bewußt, dem Leser dafür aber um so stärker. Dafür sorgt Rothmann mit vielen bildkräftigen Miniaturen, die er gekonnt zu einem überzeugenden und stets leicht melancholischen Ganzen zusammenfügt.