Vom Zähneziehen und Händehacken


Peter James - Ein guter Sohn



Peter James hat ein Faible für blutrünstige Szenarien. Und eins für ungewöhnliche Todesarten. Mir fiel das zum ersten Mal auf, als ich vor Jahren seinen Roman „Die Prophezeiung“ in die Hände bekam. Da wird von der ersten Seite an gemordet, geschlachtet und hingerichtet, daß es eine Art hat. Das F.A.Z.-Feuilleton bemerkte seinerzeit dazu spöttisch, der Autor habe eine „gar erschröckliche Geschichte“ zu Papier gebracht.

Wie auch immer: Spannend war‘s, und wer über belastbare Magennerven verfügt, kann sich von dieser Art gedrucktem Splatterfilm ganz sicher unterhalten lassen.

Kürzlich stöberte ich ein wenig bei Ebay herum, und da lief mir ein weiterer Roman von Peter James über den virtuellen Weg. „Ein guter Sohn“ hieß das Werk, und die Kurzrezensionen bei amazon.de verhießen zumindest ein wenig Kurzweil. Kleiner Preis - schneller Entschluß - das Buch war 3, 2, 1 meins.


Äußerlichkeiten


Ich halte ja sonst wenig davon, das äußere Erscheinungsbild eines Buchs zu beschreiben. Doch in diesem Fall gibt schon ein flüchtiger Blick auf den dicken Klotz Papier recht gute Hinweise zur Qualität des Textes. Droemer Knaur hat sich dem Trend zur schweren Schmökerschwarte nicht entziehen können - dicke Bücher werden von der Fangemeinde gehobener Trivialitäten nun mal lieber gekauft alls dünne.

Also hat man das Ganze in einem nahezu seniorenkompatiblen Schriftgrad gesetzt, hübsch viel Platz zwischen den Zeilen gelassen und auf voluminöses, billiges Papier gedruckt. Diese Art Papier wird im amerikanischen Sprachgebrauch „pulp“ genannt, und dieses Wort wiederum gilt laut Langenscheid als Synonym für „Schundroman“.

So kommen erstaunliche 586 Seiten zusammen. Für einen Stoff, der bei weitem umweltfreundlicher auf 300 hätte veröffentlicht werden können. Oder den man auch gleich in der Schublade hätte lassen können. Sei‘s drum.


Die Geschichte


Der gewaltsame Tod unschuldiger Menschen hat einen hohen Aufmerksamkeitswert. Je brutaler, desto erregender; je ungewöhnlicher, desto spannender. Allerdings muß das Ganze auch noch irgendwie plausibel wirken, und wer stärkeren Tobak bringen will als einen Feld-Wald-und-Wiesen-Totschlag, der braucht heute schon einen irren Täter.

In unserem Fall ist das Thomas Lamark. Der wohlerzogene junge Mann lebt mit seiner Mutter Gloria zusammen, einer alternden, erfolglosen, aber immerhin angenehm wohlhabenden Filmschauspielerin. Die beiden verbindet ein inzestuöses Verhältnis, und Gloria versichert ihrem „Tom-Tom“ immer wieder gerne, er sei „nicht ganz richtig im Kopf“.

Eines schönen Morgens findet der liebe Junge nun seine Mutter entleibt im Bett - ein klassisches Schlaftablettenfreitodensemble. Der gute Sohn rechnet schnell 1 + 1 zusammen, kommt dabei auf 3 und hat den Schuldigen ausgemacht: Es ist Dr. Michael Tennent, der Psychiater seiner Mutter. Alle Welt rennt heute zum Therapeuten, also wollte sich auch Gloria Lamark von der Last ihrer Jahre heilen lassen. Nur hat der Therapeut der alten Dame einmal zuviel die Wahrheit gesagt - denkt sich der Sohn und sinnt auf Rache. Kein Wunder: Wenn schon die Psychologie selbst eine fragwürdige Kunst ist, wie verheerend wirkt dann erst die landläufige Hobbypsychologie im Hirn eines Abnormen?

Nun gut. Dr. Tennent ist jedenfalls eine wahre Zierde seines Berufsstandes. Nachdem er vor einiger Zeit bei einer kleinen Landstraßenraserei seine Gattin en passant vom Leben zum Tode befördert hat, läuft er selbst mit einem veritablen Knacks durch die Landschaft.

Das hindert ihn nicht daran, von oben auf seine Patienten herabzublicken: Ein depressiver alter Nazi ist ihm zuwider, ein panikgeplagter Jungmanager scheint ihm mehr belustigend als heilenswert, eine Dame mit Minderwertigkeitskomplexen langweilt ihn. In seiner wöchentlichen Hörfunk-Sprechstunde sind ihm die Anrufer lästig, und er sagt munter Termine ab, läßt Patienten warten und stößt seine Sekretärin gepflegt vor den Kopf.

Dazu hat er einen Grund: Seine Freundin wird vom finsteren Lamark entführt und ist fürderhin unauffindbar. Ein guter Teil des Buches handelt von der stümperhaften Suche nach dem lieben Mädchen, von selbstlosen Polizisten und deren halsstarrigen Vorgesetzten, vom schlauen gestörten Lamark, von niederträchtigen Ex-Lovern und hingebungsvollen Sekretärinnen. Bis schließlich alles auf das sehr vorhersehbare Ende zusteuert. Uff!


Über Geschmack läßt sich nicht streiten


Und das in jeder Hinsicht. Manch einer mag es goutieren, wenn einem Opfer ohne Betäubung sämtliche Zähne extrahiert werden, wenn Elektrosägen Hände abtrennen und eine Lötlampe anschließend die Wunden kauterisiert. Selbst die schon zum Pflichtrepertoire solcher Schocker zählende Schilderung von Leichenzuständen und Obduktionen wird noch den einen oder anderen in ihren Bann ziehen (auch wenn dieses Thema bereits von der unsäglichen Patricia Cornwell in ihren erschreckend kenntnislosen Romanen mit Wonne zu Tode geritten wurde; auch wenn die mental wohl auch nicht so ganz komplett sortierte Mo Hayder das in ihren Schockern weitaus besser erledigt hat).

Da schwärmen etwa bei Glorias gemeuchelter Rivalin die Fliegen scharenweise hoch, nachdem die an ihrem Haupt mit letalem Ausgang fixierte Plastiktüte gelüftet wird. Ach Gott, wie schockierend. Die Tierchen leben nun mal vom Verzehr fremder sterblicher Hüllen, und wenn sie es nicht täten, würden sich im europäischen Mischwald die Kadaver stapeln. Wer könnte das schon gutheißen?

Auch die modische Manie, allerlei Gebrauchsgegenstände und Kleidungsstücke beim Markennamen zu nennen, wird man Peter James noch verzeihen können. Dr. Tennents Anlage ist von Aiwa, das Parfüm seiner Verflossenen war von Chanel, Lamark trägt Sachen von Boss und Armani - geschenkt! Irgendwann hat wohl der Autor einmal gelernt, daß man mit derlei Firlefanz mehr Authentizität in eine Erzählung bringt. Die Information war falsch.

Was allerdings nicht angehen kann, ist der leider allzu erfolgreiche Versuch, die Leserschaft zu langweilen. Da wird hin und her gesucht, telefoniert, gefaxt und gemailt, lange Sätze werden mit entbehrlichem und trotz angeblich ausgiebiger Recherche seltsam unechtem Lokalkolorit gefüllt. Der Leser sitzt derweil vor seinem Buch, trommelt ungeduldig mit den Fingern und wartet darauf, daß sich endlich wieder einmal etwas tut. Meinetwegen auch eine weitere sadistische Metzelei. Das bringt wenigstens Stimmung in die Bude.

Offenbar hatte Peter James zunächst eine vage Idee und dann einen Vertrag über einen bestimmten Manuskriptumfang. Erst während der Produktion mag sich herausgestellt haben, daß das eine nicht zum anderen paßte. Nun je, „pacta sunt servanda“ sagte der alte FJS gerne, und dieser Grundsatz wird wohl auch im angelsächsischen Recht gelten - da erfüllt man eben den Vertrag, und wenn es nur auf Teufel komm raus geht. Wäre ja auch zu schade um den schönen Vorschuß.

Der Vertragserfüllung wegen stolpern die Helden ziellos durch die Gegend. Erfahrene Polizisten begehen übelste Anfängerfehler. Da hat doch beispielsweise ein langgedienter Detective Constable den Verdacht, Lamark könne der ultragefährliche Killer sein. Was tut der brave Beamte? Marschiert alleine in dessen Haus, ohne seinen Kollegen auch nur ein Sterbenswörtchen zu verraten, läßt den Verdächtigen aus den Augen - und wird schließlich vom Autor wegen notorischer Dämlichkeit aus dem Spiel genommen. Muß das sein?

Überhaupt - die Realitätstreue. Die Danksagungen am Schluß des Buches erreichen fast den Umfang einer kleinen Kurzgeschichte. Was hat der Autor nicht alles unternommen (inklusive Mitfahrt in einem Streifenwagen), wen hat er nicht alles befragt. Und was hat‘s gebracht? 10 Folgen „Tatort“ anschauen - und man weiß mehr über die Polizeiarbeit.


Fazit


Ich verachte sicher keine gut gemachte Blutspritzerei, und ich lasse mich durchaus von wohlplazierten Schockeffekten unterhalten. Aber es muß intelligent und mit Freude an der Sache herübergebracht werden.

Peter James schlachtet um des Schlachtens willen, schreibt seinen Riemen streckenweise derart lustlos herunter, daß man ihm die Ohren langziehen möchte, und konstruiert schlecht motivierte, unglaubwürdige Charaktere. Und dabei kann er es erwiesenermaßen deutlich besser.

Was war das? Der schnelle Horror zwischendurch? Die kleine Trittbrettfahrt bei Thomas Harris?

Die gewohnt dumme Verlagswerbelyrik feiert James als „englischen Stephen King“. Selbst wenn das nur das übliche Marketing-Geschwätz ist - an Kings Stelle hätte ich längst die Unterlassungsklage auf den Weg gebracht.