Wohlfühlen in der zweiten Reihe


Johan Harstad – Buzz Aldrin wo warst du in all dem Durcheinander



Vorbemerkung: Dieser Text schwirrt hier und da auch noch an anderer Stelle durchs Netz. Dies hier ist die einzige autorisierte Veröffentlichung.

Die übliche Marketing-Lyrik der Verlage kennt man ja: Ein neuer Autor ist „die Sensation des Jahres“, „ein äußerst vielversprechendes Talent“, „eine überragende Begabung“ etc. pp. Piper hält sich bei Johan Harstad mit derartigen Superlativen erfreulich zurück, dabei würden sie hier wirklich nicht allzu übertrieben wirken.

Das dezente Vorgehen des Verlags paßt jedoch sehr gut zum Buch - sowohl zum Inhalt als auch zu der Art, wie der Autor seine sprachlichen Mittel einsetzt. Mattias, der Ich-Erzähler aus dem norwegischen Stavanger, bleibt gerne im Hintergrund. Er fühlt sich wohl als funktionierendes Rädchen im Weltgetriebe. Sein Idol ist folgerichtig der Astronaut Buzz Aldrin, der eben nicht als erster, sondern als zweiter Mensch den Mond betrat, und das an dem Tag, an dem Mattias geboren wurde.

Als Mattias seine Arbeitsstelle als Gärtner verliert und etwa zur gleichen Zeit die langjährige Beziehung mit seiner Freundin Helle zerbricht, wirft ihn das vollständig aus der Bahn, just zu der Zeit, als er mit seinem Freund, dem Musiker Jörn, und dessen Band auf den Färöer-Inseln eintrifft. Doch selbst diesen Zusammenbruch schildert der Erzähler völlig unaufgeregt, mit lakonischer Distanz und einer Prise Selbstironie.

Diese Erzählhaltung hat mir an dem Roman am besten gefallen. Der ruhige Ton, die sparsamen und doch prägnanten Schilderungen von Menschen und Landschaft. Ich kenne mich mit der skandinavischen Literatur zu wenig aus, um beurteilen zu können, ob diese zurückgenommene Erzählweise typisch dafür ist; aber wenn sie es ist, dann hat der in den letzten Jahren hierzulande zu beobachtende Erfolg schwedischer, dänischer und norwegischer Literatur seine guten Gründe.

Mattias findet sich schließlich in der Obhut des Psychiaters Havstein wieder, der auf den Färöern psychisch kranke Menschen betreut, die austherapiert sind oder sich in der Langzeit-Rehabilitation befinden. Die kleine Gruppe der Mitpatienten Anna, „Ennen“, Palli und Carl wird für Mattias zur Ersatzfamilie, mit Havstein als fürsorglicher Vaterfigur. Hier macht Mattias eine Entwicklung durch, die ihn zugleich merklich verändert und doch immer bei sich selbst bleiben läßt. Obwohl an äußerer Handlung nur selten etwas wirklich Dramatisches geschieht, ist das eine ungemein spannende Sache.

(Bei der Gelegenheit ein Tip: Interessant ist es meiner Ansicht nach, im Vergleich Matt Ruffs Roman „Ich und die anderen“ zu lesen - dabei wird gleich klar, wie vollkommen unterschiedlich man das Thema psychischer Erkrankungen angehen kann, und das bei gleicher Ernsthaftigkeit und ähnlicher Sympathie für die handelnden Personen.)

Dem Autor ist ein sehr lesenwerter und bei aller Ruhe doch unterhaltsamer Roman geglückt. Es sind vor allem die Menschen, die dem Leser sehr glaubhaft nahegebracht werden und die schnell seine Sympathie gewinnen. Und es gelingt Harstad zu vermitteln, daß diejenigen, die auf den ersten Blick ungewöhnlich und anders wirken, sich gar nicht besonders von uns allen unterscheiden.

Gegen Ende hatte ich den Eindruck, daß der Autor Probleme bekam, die Handlung glaubwürdig zu einem schlüssigen Ende zu führen. Plötzlich wird die erzählte Zeit so stark komprimiert, daß man sich vor einem Film im Zeitraffer wähnt, um dann auf den letzten Seiten wieder ganz ruhig auszulaufen. Ich halte das jedoch für verzeihlich.

Zum Schluß noch einmal ein Lob an den Verlag: Das Buch ist gut übersetzt, sorgfältig gestaltet und schön ausgestattet. Man merkt gleich, daß hier Menschen am Werk waren, die bei aller notwendigen Orientierung an geschäftlichen Zwängen das Bemühen um Qualität nicht aus den Augen verloren haben.

Ich empfehle den Roman ohne Einschränkungen und hoffe, daß die verdienstvolle Reihe „Piper Nordiska“ in der Zukunft noch ähnliche Entdeckungen bereithält.