Massakrieren mit Niveau


Brett Easton Ellis - American Psycho



Was dieser Roman schildert, ist über weite Strecken Pornographie, Gewaltverherrlichung, Irrsinn. Das Buch ist krank, ekelerregend und abnorm. Und es ist genial geschrieben.


Personal und Konstellation


Doch ich will nicht vorgreifen. Zunächst die Fakten: Patrick Bateman ist 26 Jahre alt, Wallstreet-Profi, erfolgreich und wohlhabend. Sein Leben dreht sich nur um eins: Er will dazugehören. Zu einer nicht besonders scharf umrissenen Gruppe von Yuppies, deren Welt von angesagten Restaurants, teurem Technik-Spielzeug und elegantem Auftreten bestimmt wird. Und das ist wörtlich zu nehmen.

Bateman gehört dazu. Er kann Restaurantkritiken aus der "Times", von der sechsten Seite der "New York Post" und aus "GQ" auswendig herbeten, kennt Bruce Boyers Standardwerk über das Auftreten eines Gentleman wie seine Westentasche, zahlt mit einer Platin-AmEx-Karte, hat ein Kundenkonto bei Bergdorf's. Wenn er mit seinen Freunden bei "Harry's" einen Drink nimmt, sich zum Dinner in einem Trend-Bistro verabredet, mit einer Limousine zum U2-Konzert fährt, dann präsentiert er sich als Teil der Schicht, die es geschafft hat in Manhattan. Wer zu den regelmäßigen Zuschauern von „Sex and the City“ zählt, kennt einen guten Teil der auftretenden Klientel und der Locations schon recht gut.

Natürlich kann ein ernstzunehmender Roman diese Yuppie-Szene nicht ohne Brechungen und Schattenseiten zeigen. Natürlich ist Bateman oberflächlich und arrogant. Natürlich wird sein Leben von einer abgrundtiefen Angst beherrscht. Der Angst, nicht mehr dazuzugehören.

Der Autor läßt Patrick Bateman in der 1. Person berichten, meist im Präsens. Und wann immer er eine Szene betritt, wann immer ein Handlungsträger hinzutritt, spinnt sich das gleich Ritual ab: Bateman beschreibt, was er selbst trägt, was die anderen tragen. Und dies tut er mit Hingabe. Markenname reiht sich an Markenname, Statussymbol an Statussymbol. Akribisch zählt er auf, welchen Ein- oder Zweireiher, mit drei, vier oder sechs Knöpfen, aus welchem Material und mit welchem Schnitt von welchem Designer die handelnden Personen tragen, wer die Accessoires geliefert hat. Beim ersten Mal wirkt das sehr verblüffend, beim zweiten Mal befällt den Leser ein leichtes Stirnrunzeln, schließlich nimmt man es amüsiert zur Kenntnis.

Die Kleidung, nein, eigentlich ihre Namen sind konstitutiv für das Buch, da sie das umreißen, was den Protagonisten wichtig ist: die richtigen Marken auf die richtige Weise zu tragen und die richtige Einrichtung im richtigen Apartment an der richtigen Adresse zu besitzen.

Und ständig begleitet Patrick Bateman diese Angst, eines Tages außerhalb zu stehen. Die Angst macht ihn verrückt, im wahrsten Sinne verrückt. Patrick Bateman bringt Menschen um. Zuweilen sind es Gelegenheitsmorde an Pennern, Straßenkids oder Fahrradboten, oft sind es jedoch inszenierte Orgien der Gewalt, zu denen er Prostituierte in sein Apartment holt oder Zufallsbekanntschaften, die er in einem der In-Clubs aufgabelt.

Diese Morde setzen jeweils den Kontrapunkt zu dem dahinplätschernden Einerlei aus Geschäftsessen, Cocktails, Dinners, Workouts im Gym, Termine bei der Maniküre, Shopping und kleinen Feiern im privaten Kreis.


Das Grauen


Die ausführlicheren Schilderungen der überaus blutrünstigen Exzesse sind pornographisch und widerwärtig. Und sie sollen es sein. Zuweilen legt man das Buch beiseite, weil man es nicht länger erträgt, diesen kranken Schmutz auch nur zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn, ihn sich bildhaft vorzustellen. Und wenn man glaubt, man habe den Gipfel der Abartigkeit gefunden, wird das Geschilderte ein Dutzend Seiten später noch mühelos in den Schatten gestellt.

Und man fragt sich unweigerlich: Wozu soll das alles gut sein? Vordergründig liegt die Antwort nahe. Patrick Bateman lebt auf dem Gipfel der Entfremdung von seiner Umwelt. Er ist so distanziert vom wirklichen Leben, daß er mit seiner primitiven, unstillbaren Angst vollkommen allein ist. Zu seinen Kollegen und Bekannten hat er keinen wirklichen Draht; sie respektieren ihn lediglich, weil er einen lukrativen Job hat, die richtige Kleidung trägt und auf Zuruf alle Regeln herbeten kann, die ein wahrer Gentleman zu beachten hat. Bezeichnend sind die vielen Szenen, in denen die flüchtigen Bekannten einander offenbar mit anderen Bekannten verwechseln, einander mit den falschen Namen anreden und es hinnehmen, mit einem falschen Namen angesprochen zu werden. Frauen kommen in seinem Leben nur in Kategorien vor, die „Hardbody“, „Eurotrash“ oder „F***fleisch“ heißen. Man benutzt sie, will aber keine wirkliche Beziehung mit ihnen eingehen.

In seinen manisch ausgelebten Gewaltphantasien wird Bateman auf die Ursprünglichkeit seiner Existenz zurückgestoßen: Fleisch, Blut, Sperma und Knochen. Das erlebt er wirklich. Das Töten, Zerteilen und Verzehren seiner Opfer.

Und doch ist das alles immer noch so inszeniert wie ein gräßlicher Splatterfilm. Oder eben wie herkömmliches Schweinchenkino. Die orgiastischen Ferkeleien, die er mit seinen weiblichen Opfern treibt, ehe er sie hinmetzelt, erinnern an die trostlose Zwangsläufigkeit, mit der in Pornos Stellung und Gegenstellung, Totale und Großaufnahme, Genital- und Oralaktion einander folgen. Es gibt ein Thema - bei Bateman vorwiegend lesbische Spiele zwischen zwei Opfern - und darauf folgend die Variation, die Umkehrung, die Spiegelung, Unisono-Passagen. Das gesamte Arrangement ist durchkomponiert wie eine Fuge von Bach. Es folgt nach einer herkömmlichen Tutti-Passage nebst gewaltiger Entladung des Dirigenten der weniger artifizielle Teil des Konzerts, in dem Bolzenschußgeräte, elektrische Kettensägen, Tranchiermesser oder hungrige Ratten spontan ihren Einsatz erhalten. Erst die Kunst, dann das Animalische.


Der amerikanisch Mythos


Auf einer anderen Ebene geht Ellis’ Kritik erwartungsgemäß über die Schilderung des Einzelschicksals hinaus. Er kritisiert den „amerikanischen Traum“, jenes Konstrukt aus Aufsteigertum, Erfolgswillen und dem „Streben nach Glück“. Die geschilderten Personen haben zwar die Kriterien erfüllt, die eine typische amerikanische Erfolgsstory ausmachen, doch sie spüren, daß dies nicht alles sein kann, ja, daß dies letztlich überhaupt nichts bedeutet. Sie haben getan, was von ihnen verlangt wurde, haben gute Schulen besucht, einen Job gefunden, der scheinbar ohne große Anstrengung fürstliche Gehälter garantiert, doch es bleibt ein Vakuum. Valium, Xanax, Prozac und Kokain sind die Mittel, die dieses Vakuum ausfüllen sollen, doch das gelingt keineswegs. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Lappalien Patrick Bateman und seine Genosse in Panikanfälle treiben können. Ist die Frisur perfekt? Ist der Waldorfsalat für die Weihnachtsparty tadellos? Zeigen die Freunde die gebührende Bewunderung (und versichern damit, daß man nach wie vor dazugehört)? Es bleiben Zweifel, die sich zu nagender Angst und unvermittelter Panik steigern.

Batemans Name ist vom Autor geschickt gewählt. Zum einen klingt darin Batman an, der „dunkle Ritter“, der in der Kulisse von Gotham City sein Doppelleben führt – „Gotham“, das in der amerikanischen literarischen Tradition immer für New York gestanden hat. Zum anderen erinnert er gewiß nicht zufällig auch an Norman Bates, den Protagonisten des Hitchcock-Films „Psycho“: ein scheinbar harmloser, zufriedener netter junger Mann, der unversehens zum Mörder wird, dunkle Triebe auslebt und die dunkle Seite der menschlichen Seele offenbart. Bateman wird im Roman von seinen Freunden mehrmals als „der nette Junge von nebenan“ bezeichnet. Und als genau das erscheint Norman Bates im Film. Und ebenso scheint Bruce Wayne, der schwerreiche gutmütige Playboy, der ein Doppelleben als Batman führt.

Bateman ist eine Art Batman der Finsternis. Er führt sein Doppelleben nicht um Gutes für die Allgemeinheit zu listen, sondern um Böses für die Befriedigung seiner innersten Triebe zu tun. Bateman ist Batmans höllisches „alter ego“. Er verkörpert in Wirklichkeit nicht den „american dream“, sondern eben „american psycho“. Das ist aus meiner Sicht der literarische Kern des Romans: eine Entlarvung des amerikanischen Traums als Horrorkabinett, die Bloßstellung des Mythos vom Erfolg.


Handwerkliche Fehler


Von der technischen Seite her gibt es an diesem Buch und seiner deutschen Fassung einiges zu kritisieren. Vor allem, daß er schlecht übersetzt, miserabel korrigiert und lieblos gestaltet ist. Mir ist bis heute nicht klar, über welches sprachliche Problem der Übersetzer hinweggehudelt ist, als er einem Videorekorder einen "8-Seiten-Charaktergenerator" andichtete – vermutlich werde ich im Original nachschlagen müssen, um des Rätsels Lösung zu finden. Ebenfalls fällt auf, daß der Übersetzer nicht ausreichend sattelfest im Slang und in der Materie ist, um die deutsche Übersetzung stimmig zu gestalten. Kein Mensch sagt "Amplifier" - das ist immer noch ein Verstärker. "Amp" oder "Pre-Amp" wäre noch hingegangen, obwohl das eher Musiker- oder Tontechniker-Jargon ist. Oder daß eine Endstufe von "Accophase" (sic!) stammen soll, obwohl der Hersteller korrekt "Accuphase" heißt. Das ist Schlamperei, die spätestens dem Lektor hätte auffallen müssen – denn ein Lektor hat im Unterschied zu Patrick Bateman gebildet zu sein.

Mir ist ebenfalls schleierhaft, wie ein Korrektor übersehen kann, daß auf ein und derselben Doppelseite einmal "Limousine" und einmal "Limosine" steht oder daß kurz hintereinander eine der weiblichen Hauptfiguren "Courtney" und dann wieder "Cortney" heißen soll. An einer anderen Stelle stehen die Varianten „totschick“ und „todschick“ nur durch wenige Sätze getrennt da.

Und warum der Schriftsatz in einem Buch heutzutage so schlecht umbrochen sein muß, daß die Seiten vor Schusterjungen und Hurenkindern nur so wimmeln, mag Johannes Gutenberg von seinem Platz im Typographenhimmel beantworten – mir ist es nicht möglich.

Daß dies alles noch in der 34. Auflage anzutreffen ist, zeigt eine grundsätzliche Gleichgültigkeit des Verlags gegenüber Qualitätsansprüchen und gegenüber der Leserschaft. Der Roman dürfte bei weitem mehr als genug Geld eingebracht haben, um den vergleichsweise geringen Betrag für eine gründliche Überarbeitung zu rechtfertigen.

Auch der Autor kennt seinen Gegenstand nicht mit hinreichender Sicherheit. Zuweilen wirken die Markennamen und Produkteigenschaften schlicht angelesen. Bateman trinkt beispielsweise unentwegt J&B mit Eis. Daß ein Amerikaner einen Whisky mit Eis trinkt, ist normal (wenn auch abstoßend bäuerlich). Daß es aber ein Blended Scotch der Pennerklasse sein muß, paßt nicht zum schillernden Bild gehobener Lebensart, die Ellis skizziert. Nun gut, J&B ist trinkbarer als Ballantines oder Dimple, aber es bleibt ein gesichtsloses Massenprodukt. Ebenso wie der im Roman gerne konsumierte Absolut-Wodka, der nun wirklich seit Jahrzehnten die Sonderangebotszettel der Feld-, Wald- und Wiesen-Supermärkte ziert. Und daß zum Abschluß eines exklusiven Privatdinners im japanischen Stil ausgerechnet eine Flasche Glenfiddich auf dem Tisch steht, hat mir die Sprache verschlagen. Glenfiddich ist der Inbegriff des Discounter-Malts, ein Gesöff für Emporkömmlinge und Ahnungslose. Wer nur ein einziges Mal an einem Lagavulin, Talisker oder Caol Ila auch nur geschnuppert hat (und die kosten vielleicht 10 Euro mehr), der wird keinen Glenfiddich mehr anrühren. Was hat also diese Brühe in einem Umfeld zu suchen, das Stil zelebriert oder dies zumindest vorgibt?

Ähnlich die genannten Bekleidungsmarken und Designernamen. Sicher, dort ist viel Gehobenes anzutreffen: Ermenegildo Zegna schneidert nun mal klassische Eleganz, Karl Lagerfeld für Chanel hält die ideale Balance zwischen Abgefahrenem und Tragbarem, mit Givenchy oder Hermés kann man nichts falsch machen (ganz gleich, ob man 18 oder 80 Jahre alt ist), Cerruti kleidet den Herrn tadellos. Aber dann: Immer wieder werden Kleidungsstücke von Ralph Lauren erwähnt. Oder von Polo by Ralph Lauren. Hätte man da nicht gleich bei H&M einkaufen können? Das mag nun versnobt klingen, aber hier hätte doch die Recherche gründlich genug sein müssen, um echten Chique von marketingtechnisch aufgebrezelter Konfektion zu unterscheiden. Na, ich halte mal besser den Mund, ehe das noch jemand zu ernst nimmt ...


Fazit


Ich kann das Buch ohne weiteres empfehlen. Allerdings nur denjenigen, die einen robusten Magen und widerstandsfähige Nerven besitzen. Sowohl die pornographischen als auch die gewaltverherrlichenden Passagen würden ohne weiteres für Indizierung, Beschlagnahme und Verbot ausreichen, wenn hier nicht der Kunstvorbehalt greifen würde. Er greift mit Recht, aber dadurch wirken die Sexszenen nicht weniger aufdringlich, die Gewalttätigkeiten nicht weniger erschütternd. Ich kann jeden verstehen, der dieses Buch nicht erträgt, weil es in der Tat streckenweise kaum zu ertragen ist. Und ich werde nach Möglichkeit verhindern, daß meine Kinder dieses Buch lesen, solange sie nicht volljährig sind (und ich ihnen ohnehin nichts mehr verbieten kann). Andererseits lege ich jedem, der tatsächlich erwachsen, also innerlich gefestigt und zur distanzierten Lektüre in der Lage ist, den Roman ans Herz, sofern er es sich freiwillig antun möchte. Er wird darin einiges über die Realität und das Leben lernen. Und er wird es, wenn er nicht völlig verroht ist, als Appell an die Humanität verstehen, als Beleg dafür, daß Menschlichkeit unbedingt notwendig ist, um diese Gesellschaft vor dem endgültigen Schritt zur verderblichen Abwesenheit von tief empfundenem Gefühl für den Nächsten zu bewahren.

Denn das ist es, was solch ein Buch eigentlich auslösen muß: das Pendel in die andere Richtung ausschlagen zu lassen.