Lehrreich, mehr nicht


Tom Coraghessan Boyle – World’s End



Wer sich über die Besiedlung der amerikanischen Ostküste informieren möchte, Geschichtsbücher aber für öde hält, der findet in Boyles Roman zumindest die menschliche Seite der Angelegenheit ausführlich beschrieben. Sozusagen als moderne Yellow-Press-Variante von Hawthornes „Scharlachrotem Buchstaben".

Auch das gemütlich-miefige Kleinbürgerdasein amerikanischer Nachrkriegssozialisten wird thematisiert ebenso wie die schräge Hippiekultur der 68er Zeit. Das alles aufgehängt an den Irrungen und Wirrungen der Familien Van Wart (Gutsherren) und Van Brunt (Vasallen).

Boyle springt munter über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg, verquickt Schicksale und Genealogien, erklärt eins aus dem anderen, arbeitet mit Vorgriffen und Rückblenden - ganz so, wie er es bei Workshops in „creative writing" unter anderem von John Irving gelernt hat.

Bei alldem breitet sich leider allzu oft gepflegte Langeweile aus. Die Figuren werden nicht richtig lebendig, ihre Handlungsweise ist an den wichtigsten Wendepunkten schlecht motiviert. Wenn Boyle nicht weiter weiß, kommen Mythologie und Indianerzauber ins Spiel - Elemente, die sich dann häufig genug wieder als tote Motive erweisen und erzählerisch ins Leere laufen.

Dabei würde der Plot des Romans durchaus für eine große Erzählung taugen. Boyle ist zudem als studierter Historiker fachlich auf der Höhe, mit seinem Heimatort Peerskill (im Roman „Peterskill") bewegt er sich in vertrautem Gelände, und die 68er hat er etwa in dem Alter miterlebt, in dem er seine Hauptfigur Walter Van Brunt porträtiert. Allein - es bleibt alles sehr papieren, beliebig, grob skizziert und dabei doch langatmig. Es spricht einiges dafür, daß Boyle sein Thema zu gut kannte - zu vieles im Kopf behielt, zu wenig davon niederschrieb. Die Übertragung in glaubwürdig agierende, lebende Handlungsträger ist mißlungen.

Was bleibt? Ein Handlungsrahmen, der sich hervorragend als Steinbruch für schmissige Klappentexte eignet. Und ein Roman, den man als Schiffbrüchiger auf eine einsame Insel mitnehmen würde - wenn der Rest der Bordbibliothek im Orkan versunken ist.