Ein überzeugendes Debüt


Monika Bittl – Irrwetter



Ein Frauenbuch? Ein Krimi? Ein Entwicklungsroman? Ein modernes Märchen? Von all dem hat die Erzählung etwas und bietet doch mehr als die Summe ihrer Einzelaspekte. Monika Bittl erzählt in ihrem Roman-Erstling die Geschichte der Anntraud Reiser, die in einem bayrischen Bergdorf geboren wird, dort die Nazizeit durchlebt, die Nachkriegsjahre hinter sich bringt und schließlich als anderer Mensch in der Gegenwart ankommt.

Ihre Kindheit scheint sich ganz außerhalb zivilisatorischer Werte abzuspielen, denn Anntrauds Geburt steht unter dem Zeichen einer abergläubischen Prophezeiung, die ihr Schicksal zu prägen droht. Zu Beginn fügt sie sich, ebenso wie der Fremdbestimmung durch das soziale Umfeld, doch im Laufe der Jahre befreit sie sich zumindest innerlich. Schließlich ist ein tragischer Schicksalsschlag der Auslöser dafür, daß sie mehr und mehr zu sich selbst findet und letztlich auch äußerlich von der Enge ihres bisherigen Lebens Abschied nimmt.

Der Roman wird sehr stark von seiner Erzählperspektive bestimmt. Auch wenn die Autorin in der dritten Person schreibt, ist es fast immer Anntrauds Sicht, aus der berichtet wird. Das wird ebenso in der äußeren Form mit ihren Mundart-Anklängen sichtbar wie auch bei den Wertungen und der Wahrnehmung aller Geschehnisse im Dorf und außerhalb.

Einige Rezensenten in der Tagespresse haben sich davon aufs Glatteis führen lassen und den Roman als naiv bezeichnet. Das ist ein Irrtum: Anntraud ist naiv, nicht das Buch. Doch Monika Bittl hat Anntrauds Erfahrungswelt und ihre Denkweise so authentisch dargestellt, daß dieser Fehlschluß bei flüchtigem Lesen leicht unterläuft (und man weiß schließlich, wie gestreßt die Kollegen in den Feuilletonredaktionen sind).

Auffällig ist bei dem Roman der Bruch mitten in der Geschichte: In der ersten Hälfte fließt der Text als Mischung von Dorfgeschichte und Lebensbericht, als stimmige Genreschilderung mit zeitgeschichtlichen Anklängen dahin. Mit einem Paukenschlag dringt dann die brutale Härte der Außenwelt in Anntrauds Existenz. Anschließend findet der Text einen ganz neuen Rhythmus, der Schauplatz wechselt recht bald, Anntrauds Perspektive weitet sich zugleich, ihre Motive und Ziele erneuern sich. Die sprachliche Form korrespondiert hier sehr schön mit dem Inhalt.

Alles in allem: Routiniert ihre stilistischen Mittel einsetzend, hat die Autorin mit "Irrwetter" eine Erzählung geschaffen, die sich sehr angenehm und flüssig liest, auf den ersten Blick eher gefällig daherkommt, doch beim zweiten Hinsehen so manche Doppelbödigkeit zum Vorschein kommen läßt. Vor allem dann, wenn in etlichen Passagen hinter einem harmlos scheinenden Plauderton plötzlich ein pfiffiger Humor hervorblitzt, der mit kleinen Spitzen die idyllische ländliche Szenerie in Frage stellt. Dabei fällt auch immer wieder auf, wie sorgfältig recherchiert und stimmig gestaltet die Schauplätze, Personen und Umstände erscheinen.

Interessant übrigens auch, wie sich eine ganze Reihe von Motiven beiderseits des zentralen Traumas wie an einer Achse spiegeln: Gegen Anfang die völkerkundliche Expedition, die das ländliche Bayern erkundet - sie findet ihr Bild in der Anntraud der späten Kapitel, die mit dem fremden Blick der Landbewohnerin die Großstadt erkundet. Ebenfalls zu Beginn heiratet ein Ausländer ins Dorf ein, viel später schließt unter gänzlich anderen Umständen eine Dorfbewohnerin eine Partnerschaft mit einem Ausländer. Oder die (sehr sympathische) Hebamme, die sowohl bei Anntrauds Geburt als auch beim Ende ihrer dörflichen Existenz zur rechten Zeit die rechte Hilfestellung gibt.

Das alles mag von mir auch munter in das Buch hineininterpretiert sein - jedoch, was soll's? Der Roman gibt all dies nun einmal her und bildet damit eine literarische Welt, in der sich der Leser wohlfühlt und in der seine Phantasie sich entfalten kann. Dazu gesellt sich der Eindruck (dies sollte auch erwähnt werden), daß der Verlag sich einige Mühe mit einem handwerklich tadellosen Schriftsatz, mit einer ausgesprochen gelungenen Einbandgestaltung und einer schönen Ausstattung gegeben hat - das ist heute leider längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

Langer Rede kurzer Sinn: Mir hat das Buch gefallen, und ich kann es ohne Zögern empfehlen!